Kontexte 31.12.2017
Familie, ein Abriss
"Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2017
https://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/5343306/Familie-ein-Abriss
Auf der Plusseite stehen immerhin sichere Sexualität, Fürsorge und Solidarität in Notfällen, Sinngebung sowie die Möglichkeit der Reproduktion, also ein Kind zu haben. Warum drohen Lebensform und Institution der Kernfamilie dennoch unterzugehen?
Wunsch und Wirklichkeit. – Ein geglücktes Familienleben ist auf der Wunschliste der Menschen ganz oben zu finden, in der Wirklichkeit bleibt davon mitunter wenig übrig. Die kulturellen Versprechungen der 1960er- und 1970er-Jahre, entspanntere Verhältnisse anzusteuern, haben sich kaum erfüllt, sieht man von den damals rigiden Normen zu Sexualität, Bekleidungsmode und Umgangsformen ab. Dort, wo es um die harten Gegebenheiten des Alltags geht, um Erwerbsarbeit, Konsum, Freizeit, Politik, Beziehungen und Identität, ist vieles mühsam und beschwerlich geworden.
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Aussichten. – Familien benötigen stabile, langfristig sichere Rahmenbedingungen. Diese lösen sich gerade auf, sowohl von den äußeren Voraussetzungen (etwa Erwerbsarbeit) wie von den subjektiven Gestimmtheiten (postmaterialistische und multikulturalistische Werte). Hierzulande sind rund ein Drittel der Bevölkerung Postmaterialisten und bevorzugt in Medien, Schulen, im Bildungsbereich, in der öffentlichen Verwaltung sowie in der Kulturindustrie tätig, also dort, wo Meinungen gebildet und verfestigt werden. Sie werden die angesprochenen Entwicklungen, also die Erosion traditionell familiärer Strukturen, fortsetzen, und die Traditionalisten werden dabei – mangels Deutungshoheit – letztlich etwas unwillig und verzögert folgen.
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Die Ehe für alle kommt- ein echter Kulturbruch
https://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/5336720/Gastkommentar_Die-Ehe-fuer-alle-kommt-ein-echter-Kulturbruch
Hans Winkler 11.12.2017 in "Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2017.
Die Kirche und die Homo-Ehe. Die angeblichen Privilegien der Ehe von Mann und Frau sind keine, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Die „heilige Verbindung von Ehe und Fortpflanzung“ sei längst zerbrochen, schrieb ein Kommentator vor einiger Zeit und meinte das Wort heilig wohl ironisch. Die Formulierung ist aber doch überraschend. „Heilige Verbindung“ für eine angeblich obsolete oder zumindest ins Belieben der Einzelnen gestellte Institution von Kultur und Rechtsordnung? Ist das womöglich schon der Phantomschmerz über das Abwesende?
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Heilige Familie?
Stephan Ackermann in: Eine Nacht voller Wunder. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2013.
Wenn wir von unserer Situation heute aus zurück auf Maria, Josef und Jesus blicken, dann stellt sich unweigerlich die Frage: Können wir denn von der heiligen Familie realistischerweise etwas lernen? Wir wissen doch im Grunde nichts von ihr, da sich die Evangelien über die für die Familie interessantesten Jahre ausschweigen.
Und wie oft wurde das Bild der heiligen Familie als einer heilen Familie im bürgerlichen Sinn in der Vergangenheit beschworen: so als ob das Glück und die Harmonie daran gehangen hätten, dass Jesus Josef an der Hobelbank zur Hand ging oder brav für die Mutter am Brunnen Wasser holte. Das Bild, das die Evangelien im weiteren Verlauf der Geschichte Jesu zeichnen, ist jedoch ein anderes: ein Bild, das voller Spannung ist, eher typisch für eine normale Beziehung zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern, nicht besonders heilig.
Aber täuschen wir uns nicht: Bei den spärlichen Schilderungen über das Leben der heiligen Familie geht es weder darum, sie als eine völlig normale Familie darzustellen noch unsere Familien heute irgendwie religiös absegnen zu lassen ...
Was die heilige Familie ausgezeichnet hat, war nicht eine bürgerliche Anständigkeit, wie das die Moralprediger von früher gerne gehabt hätten, und es war auch nicht eine Harmonie des »Seid nett zueinander«, wie es heute vielleicht missverstanden wird. Beides wäre zu wenig.
Zwei Dinge zeichnen die heilige Familie aus: zum einen die Achtung vor dem Geheimnis Gottes, zum anderen ihr Mittelpunkt: Jesus selbst. Jede der drei Personen Maria, Josef und Jesus hatte Achtung vor der Einmaligkeit der anderen und vor dem unverwechselbaren Auftrag, den Gott jeder von ihnen zugedacht hatte.
Josef respektiert den Willen Gottes mit Maria, Maria respektiert die Herkunft Josefs aus dem Davidshaus, die dazu führt, dass sie sich wegen der Volkszählung hochschwanger auf den Weg nach Betlehem, die Davidsstadt, machen müssen. Beide respektieren den Ruf Gottes an ihr Kind, und das Kind respektiert die Rolle der Eltern ...
Immer geht es um das Geheimnis Gottes mit jeder einzelnen Person und um den geheimnisvollen Plan, den Gott mit ihr zusammen vorhat. Und es ist offensichtlich nicht sündhaft, Fragen zu stellen, sich schwerzutun mit diesem Plan und um ihn zu ringen: Das haben Josef, Maria und Jesus, jeder auf seine Weise, getan.
Ob eine solche Perspektive nicht auch unser Zusammenleben bereichern und erleichtern würde und ihm zugleich eine andere Tiefe gäbe? Uns gegenseitig zuzugestehen, dass Gott mit jedem Einzelnen von uns sein Geheimnis hat und dass unser Lebensglück in nichts anderem besteht, als diesem persönlichen Geheimnis auf die Spur zu kommen und zugleich das Geheimnis im Leben des Anderen zu respektieren.
Am schwierigsten ist das sicher im Zusammenleben mit denen, die einem am nächsten stehen und die man am besten kennt: dort zu akzeptieren, dass ich nicht einfach über den anderen verfugen kann, sosehr ich ihn kenne und liebe; anzuerkennen, dass der andere nicht einfach zu meiner Verfügung steht, sondern meinem Zugriff entzogen bleibt, weil er Geschöpf Gottes ist. Wir gehören letztlich nicht einander, sondern Gott. Wenn wir uns aber von dieser Überzeugung getragen freigeben und freilassen, dann - da bin ich sicher und das zeigt die christliche Erfahrung - finden wir uns auf einer viel tieferen Ebene wieder und sind dort miteinander verbunden. Das war das geheime Elixier der heiligen Familie: nicht bürgerlich-katholische Anständigkeit und nicht der Stil der modernen happy family, sondern der Respekt vor dem göttlichen Geheimnis des anderen.
Das Geheimnis Jesu kommt in dem Namen zum Ausdruck, den ihm Maria und Josef geben. Er ist nicht aus einer Vorliebe oder Laune der Eltern heraus gewählt, sondern in Gehorsam zur Botschaft des Engels: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben« (Lukas 2,31).
Jesus - der Name bedeutet übersetzt: »Gott rettet«, und das ist das Zweite, das wir von der heiligen Familie für heute lernen können: Jesus in die Mitte zu nehmen. Das gilt für alle Familien über die Grenze aller Zeiten hinweg. Das klingt vielleicht überraschend: Macht nicht gerade Jesus das Unverwechselbare der heiligen Familie aus?
Wer so denkt, übersieht, dass gerade Jesus nie nur dieser Familie gehörte. Das ist ja das Besondere, dass er nicht einfach Sohn Marias und Josefs war. Das offenbart sich schon bei der Empfängnis. Es wird deutlicher an der Krippe, wo Hirten und Könige kommen. Beim Zwölfjährigen wird es schmerzlich klar und schließlich, als Jesus sagt: »Jeder, der den Willen Gottes erfüllt, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter« (Markus 3,35).
Jesus Platz geben in unseren Familien - was heißt das konkret? Es heißt: seine Botschaft einlassen in unsere Beziehungen, uns sein Wort sagen lassen, nicht nur an Weihnachten. Ihm mehr und mehr Bereiche unseres Lebens öffnen, nicht nur, wenn wir mit menschlichen Kräften und Kenntnissen nicht mehr weiterwissen und Hilfe »von oben« brauchen, sondern auch in den alltäglichen Situationen der Freude, der Langeweile, des Streits. Jesus erlauben, dabei zu sein, das heißt: versuchen, Situationen bewusst aus seiner Perspektive anzuschauen, indem ich ihn frage: »Jesus, wie würdest du das erleben, was würdest du dazu sagen?« Nein, richtiger noch: »Jesus, wie erlebst du das, was sagst du dazu?« Denn er ist ja nicht Vergangenheit, er ist nicht Fiktion, er ist Gegenwart. Er erlebt ja meine Freude, meinen Arger, meine Wut, meine Enttäuschung, meine Ratlosigkeit.
Wie oft sind wir deshalb so schnell am Ende mit unseren Ideen und mit unseren Mitmenschen, weil wir eingeschlossen bleiben in unserer Perspektive, weil wir sie nicht aufmachen, weil wir gar nicht auf die Idee kommen, sie auf Jesus und damit auf Gott hin zu öffnen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir allein bleiben wollen mit unseren Gedanken, unserem Arger, weil wir im Recht bleiben wollen mit unserer Ansicht, weil wir den Eindruck haben: Ich habe einen Anspruch auf meinen Ärger und meine Enttäuschung. Ich will sie mir gar nicht nehmen lassen, auch nicht von Jesus.
Ich vermute, dass viele Beziehungen - leider auch unter Christen - aufgrund dieser Haltung so schnell am Ende sind. Wie mit den Menschen, so gehen wir oft auch mit Gott um: Wir wollen bestimmen, wann er sich einschalten darf, wann er uns bitteschön beispringen und wann er sich tunlichst nicht einmischen soll, damit er nicht die Bilder stört, die wir uns längst bereitgelegt haben, weil wir ja die Lösung längst zu wissen meinen ...
Warum nicht Jesus um die Lösung in einem Konflikt bitten und mit den Konfliktpartnern etwa in der Familie vereinbaren, gemeinsam in diesem Anliegen zu beten? Warum Jesus nicht nur für die bitten, die ich liebe, um die ich mich sorge, sondern auch für die, die mich stören, ratlos machen, verletzen?
Mit Jesus in der Mitte sind wir allemal dichter am Geheimnis, das Gott in jeden Menschen hineingelegt hat. »Du wärst mit mir bald am Ende, wenn ich nicht eins wäre mit dem, der ohne Grenzen ist«, sagt in einem berühmten Drama des französischen Dichters Paul Claudel die Geliebte (Dona Proeza) zu ihrem Liebhaber. Das ist es: Menschen sind schnell, sehr schnell miteinander am Ende, wenn sie nicht glauben können, dass im Anderen das göttliche Geheimnis lebt, das zu respektieren ist. Wo es respektiert wird, wird das Leben zu einer nie endenden Entdeckungsfahrt, in der wir immer wieder auf das große Geheimnis Gottes mit uns Menschen stoßen, der uns zu der einen, zu seiner Familie umgestalten will.
Das Bild des Vaters
Leonardo Boff in: Eine Nacht voller Wunder. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2013.
Er spricht und redet nicht. Er spricht durch seine arbeitenden Hände. Er träumt nur. Der Traum ist die Dimension der Tiefe und des Unerreichbaren. Hier ist das Geheimnis zu Hause. Dieser Mensch benutzt als Handwerker, Zimmermann und Bauer im Mittelmeerraum seine Hände. Er ist in einem tiefen Sinne fromm, sodass er zum Vorbild für die ganze Gemeinde wird. Deshalb betrachten ihn alle als »gerecht« - ein Ausdruck, der damals das gute Sich-Einfügen in die Gemeinschaft mit klaren Merkmalen von Weisheit und Tugend meinte.
Er war Witwer und hatte mehrere Söhne, die die Evangelien die Brüder Jesu nennen (Johannes 7,3.5) und deren Namen bekannt sind: Jakob und Josef, Simon und Judas (Matthäus 13,54). Er traf eine junge Frau, die dem Anschein nach schwanger war. Aus Furcht vor dem Klatsch in einem Dorf, in dem alle alles voneinander wussten, und aus Mitleid wegen der Diskriminierung, die eine offensichtlich schwangere ledige Frau erleiden konnte, nahm er sie in sein Haus auf. Er nahm sie zur Frau. Er nahm den Sohn, den sie bekommen sollte, als seinen eigenen an. Innerhalb der jüdischen Kultur ist der symbolische Ausdruck dafür, dass er ihm den Namen Jesus gab. Auf diese Weise machte er sich zum Vater des Kindes mit aller Verantwortung, die einem Vater zukommt: für das Nötige im Haus zu sorgen, sich um die Erziehung zu kümmern, ihn in die Traditionen des Volkes einzuweisen, ihn an den religiösen und profanen Festen, wie etwa einer Hochzeit, teilhaben zu lassen und ihm das eigene Handwerk als Zimmermann und Bauer beizubringen.
Sein Name ist Josef, Josef aus Nazaret. Er lebt seine Bestimmung als Vater in so tiefer Weise, dass er Gott als den großen und geheimnisvollen Vater erfährt. Er unterhält eine solch intime Beziehung zu ihm, dass er sie an seinen Sohn Jesus weitergab, der später Gott »Abba, lieber Papi« zu nennen begann. Jesus konnte Gott nur deshalb Abba nennen, weil Josef diese intime Dimension des gütigen und zärtlichen Vaters lebte. Ohne die Erfahrung Josefs als Abba hätte Jesus schwerlich seinen Gott Abba nennen können. Dies war seine ursprüngliche Erfahrung ...
Josef steht stellvertretend für alle Väter der Geschichte, die aufgrund ihres Vaterseins Gott unter anderem als guten und liebevollen Vater erlebten. Jeder Vater in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und überall auf der Welt erfährt in irgendeiner Weise Gott als Vater. In diesen Vätern wird der himmlische Vater gegenwärtig - in jedem Einzelnen in je eigener, unterscheidbarer Weis.
Maria — Mutter in schwierigen Verhältnissen
Margot Kässmann in: Eine Nacht voller Wunder. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2013.
Maria gilt als die fürsorgliche Mutter schlechthin. Sie steht zu ihrer Schwangerschaft, auch wenn sie nicht geplant war. Sie begleitet ihren Sohn bis zuletzt, bis zum bitteren Ende - sie steht sogar unter seinem Kreuz, als er stirbt. Von keiner anderen biblischen Gestalt, außer Jesus, gibt es derart viele Abbildungen und Darstellungen. Sie reichen von der jungen Mutter, die den Säugling im Arm hält - das zentrale Symbol für Mutterliebe -, bis zu den Darstellungen als »Pieta«: die Mutter, die den toten Sohn umfasst. Beides sind Sinnbilder von mütterlicher Liebe und mütterlichem Leid.
Wenn wir zur biblischen Geschichte zurückgehen, ist Maria zunächst eine junge Frau, die unehelich schwanger wird. Beim Evangelisten Matthäus ist zwar der ganze Stammbaum Jesu von Josef hergeleitet, schwanger aber, so Matthäus, wurde sie »ehe Josef sie heimholte«. Und beim Evangelisten Lukas fragt Maria selbst, wie sie schwanger sein könne, wenn sie doch »von keinem Manne weiß«. Allerdings ist bei Lukas die Rede davon, dass Josef mit seinem »vertrauten Weibe« nach Bethlehem zog...
Was heißt das? Seit Jahrhunderten steht die Frage im Raum, ob nun Josef der leibliche Vater Jesu war. Für mich ist das mit Blick auf meinen Glauben zweitrangig. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt - das ist der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens! Erst von Ostern her, im Rückblick sozusagen, wird auch die Geburt interessant ...
Maria ist eine junge Frau, die auf wundersame Weise die Mutter des Gottessohnes wurde. Können wir das nicht so stehen lassen, als Geheimnis des Glaubens? Sie ist eine junge Frau, die insofern Jungfrau war, als sie offen war für Gott, für Gottes Heiligen Geist. Gott selbst kommt in die Welt, es geht um Vertrauen in sein Wirken, es geht allein um den Glauben - dafür kann »Jungfrauengeburt« eine Beschreibung sein. Deshalb kann ich diesen Satz im Glaubensbekenntnis auch gut mitsprechen. Mit in manchen Kulturen geradezu fanatischer Sorge um sexuelle Jungfräulichkeit hat das nichts zu tun.
Und Maria kann in ihrer Situation ein Trost sein für Mütter, die in nicht ganz einfachen Beziehungsverhältnissen ein Kind bekommen. In den westlichen Gesellschaften ist es heute kein Drama mehr, unverheiratet schwanger zu sein. Und es ist gut, dass den Kindern der Makel der Unehelichkeit genommen wurde. Für Frauen ist es auf jeden Fall eine ungeheure Erleichterung und Ermutigung, wenn es heißt: Wir freuen uns mit dir! Statt: Wir verachten dich, ja verstoßen dich! Wie viele Demütigungen und bittere Erfahrungen haben unverheiratete schwangere Frauen über sich ergehen lassen müssen. Welche Erniedrigung hat manches Kind erlitten, weil seine Eltern nicht verheiratet waren! Wie viele Schwangerschaften wurden aus Angst vor diesem Makel frühzeitig beendet. Und in wie vielen Ländern dieser Erde ist das noch heute ganz aktuell der Fall!
Für Frauen ist es aber auch hierzulande heute nicht leicht, ohne den Vater des Kindes, das sie zur Welt bringen werden, ihren Weg zu gehen. Da muss eine Frau ihr ganzes Leben auf das Kind umstellen und kann sich nicht darauf verlassen, dass der Mann, mit dem sie zusammen war, den sie vielleicht liebt, der jedenfalls der Vater ihres Kindes ist, ihr zur Seite steht (...) Alleinerziehende Mutter zu sein ist in Deutschland ein Armutsrisiko. Wie bitter ist es für eine Mutter, wenn sie die Erfahrung macht, dass sie dem eigenen Kind nicht bieten kann, was andere Eltern möglich machen. Die Freude über eine Schwangerschaft stellt sich nur schwer ein, wenn der Vater des Kindes, wenn das Umfeld, die Familie die Frau nicht unterstützen. Es ist eine Belastung, ein Kind ohne ausreichend finanzielle Mittel großzuziehen. In Deutschland wächst heute jedes sechste Kind in Armut auf. Das bedeutet auch für die Mütter manche bittere Erfahrung: Ich würde ihm gern die Jeans kaufen, die er sich wünscht. Es wäre auch schön für mich, wenn sie die Puppe bekommt, nach der sie sich so sehr sehnt... Es ist bitter für eine Mutter, wenn Armut die Kindheit ihres Kindes prägt.
Sehen wir den Fortgang der biblischen Geschichte um Maria, dann war Josef offenbar ein durchaus engagierter Vater. Lukas berichtet, dass er im Stall bei der Geburt anwesend war. Das ist durchaus erstaunlich. Historisch betrachtet ist es immer noch ein sehr neues Phänomen, dass Väter bei der Geburt ihrer Kinder dabei sind. Und gewiss ist Dabeisein in Deutschland eine leichtere Aufgabe, als das in einem Stall in Israel vor 2000 Jahren der Fall war - ohne Hebamme, ohne Arzt! Und dann flüchtet Josef, so erzählt Matthäus, kurz nach der Geburt mit Frau und Kind nach Ägypten, um den Sohn vor den Pogromen des Königs Herodes in Sicherheit zu bringen.
Überhaupt ist Josef mit Blick auf dieses bald schon so »schwierige« Kind ein sehr präsenter Vater. Als 12-Jähriger etwa, so erzählt das Evangelium (Lukas 2,41 ff.), setzt Jesus sich bei einem Besuch Jerusalems ab. Plötzlich ist er verschwunden. Suchen müssen ihn die Eltern - und finden ihn im Tempel. Nach diesen Berichten verliert sich die Spur des Josef als Vater. Von Maria, der Mutter, ist bis zuletzt die Rede. Auch sie muss damit leben, dass ihr Sohn in armen Verhältnissen zur Welt kommt ...
Wenn wir uns die Krippe in der Geburtsgeschichte des Jesu, in der Weihnachtsgeschichte bei Lukas anschauen, dann ist sie sicher ein Zeichen der Armut: Das neugeborene Baby wird in eine Futterkrippe gelegt. Da ist keine Wiege, kein Himmelbett. Aber die Krippe ist auch zum Sinnbild von Liebe und Geborgenheit geworden. Maria und Josef tun für dieses Kind, was sie können, so schwierig die Situation sein mag. Solche Eltern, die auch in aller Armut für ihr Kind da sind, wünschen wir jedem Kind. Wenn wir die Weihnachtsgeschichte des Lukas als eine Geschichte lesen, in der ein Kind in Armut zur Welt kommt und dabei einen guten und behüteten Anfang hat, dann zeigt sich: Es braucht aufmerksame Nachbarn wie die Hirten, die genau hinschauen, wie es dem Kind geht. Es braucht großzügige Weise, die für die materielle Absicherung des Kindes sorgen. Denn das ist sicher das zentrale Bild von Weihnachten: Gott kommt als Kind in eine Welt, die nicht heil und wohlig ist. Aber das Kind wird geliebt und so zum Zeichen der Verletzlichkeit des Lebens. Es mahnt uns, auf die besonders Verletzlichen, auf die Kinder zu achten.
Leben in der Familie
Aus: Gebete für das ganze Leben, St. Benno Verlag Leipzig 2004.
Gott und Vater,
du hast den Frieden in unserer Familie gewahrt
oder uns immer wieder neu geschenkt.
Wir danken dir.
Behüte uns und hilf, uns gegenseitig in Liebe
zu tragen und zu ertragen.
Gib uns den guten Willen zur Versöhnung
nach jedem Streit
und die Kraft zu einer ehrlichen Aussprache
bei Zwistigkeiten.
Schenke uns Verständnis füreinander.
Schütze auch unsere Lieben,
die nicht gesund sind,
denen wir im Geist und bei allzu seltenen
Begegnungen verbunden sind.
Gib unserer Familie auch die Kraft,
sich nicht denen zu verschließen,
die unsere Nähe und unsere Hilfe brauchen.
Du liebst alle Menschen,
dich wollen wir lieben in unseren Nächsten.
Bleibe bei uns. Amen.
Kinder
Aus: Gebete für das ganze Leben, St. Benno Verlag Leipzig 2004.
Vater im Himmel,
du hast uns unsere Kinder anvertraut.
Wir freuen uns, dass wir sie haben.
Wir freuen uns über alle guten Anlagen,
die wir an ihnen entdecken.
Wir freuen uns, wenn sie gesund sind
und heranwachsen.
Wir freuen uns,
wenn wir miterleben dürfen,
wie sie sich entfalten.
Herr, wir danken dir für unsere Kinder.
Wir wollen ihnen helfen, so zu werden,
wie du sie haben willst.
Wir wollen Geduld haben,
wenn sie uns Sorgen machen.
Darum bitten wir dich, Herr,
segne unsere Kinder.
Lass sie von Tag zu Tag mehr lernen,
ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Gib ihnen einen Glauben,
der ihr Denken und Tun durchdringt.
Führe sie einmal zu dem Beruf,
der ihnen Freude macht.
Schenke ihnen Freunde, die sie verstehen
und ihnen helfen.
Und wenn sie auf falsche Wege geraten,
dann führe sie wieder zurück.
Bleib in unserer Familie;
wir alle brauchen dich.
Chiara Luce Badano
Gudrun Griesmayr, Stefan Liesenfeld, Chiara Luce Badano, Ein kurzes intensives Leben, München 2011 (4).
Am 16. Oktober 1960 haben Maria Teresa Caviglia und Ruggero Badano geheiratet. Sehnlichst wünschten sie sich Kinder, doch sie mussten elf lange Jahre warten. "Jedes Mal", erzählte der Vater, "wenn ich mich mit Gleichaltrigen traf, die Kinder hatten, wurde mir schmerzlich bewusst, dass uns etwas fehlte." Es war keine leichte Zeit für das Paar. Ruggero, der bis dahin nicht gerade fromm gewesen war, pilgerte in seiner Not sogar zu einem Marienheiligtum, um in diesem großen Anliegen zu beten. Einen Monat später - Zufall oder nicht - war Maria schwanger. Am 29. Oktober 1971 erblickte ihr Töchterchen das Licht der Welt. Für Ruggero und Maria Teresa war es die Erfüllung ihres Herzenswunsches - und die Erhörung vieler Gebete. Sie gaben der Kleinen den Namen Chiara, nach der heiligen Klara, der ersten Gefährtin des Franz von Assisi.
Chiara Luce Badano stirbt kurz vor ihrem 19. Geburtstag infolge einer schweren Krebserkrankung. Eine Jugendliche wie viele: lebensfroh, sportlich, mit Höhen und Tiefen. Und doch zieht sich etwas Besonderes durch ihr Leben. Die frohen Momente, aber auch ihre Krisen lebt sie aus einer tiefen Beziehung mit Jesus. Die katholische Kirche spricht sie am 25. September 2010, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, selig. Freunde sagen: "Chiara hinterlässt eine Spur von Licht."
(Anmerkung: Dieses Buch ist sehr lesenswert, zeigt es doch auch, mit welcher Glaubensstärke auch zu diesem Weg ihrer Tochter JA sagen. Sie leben ganz im Willen Gottes.)
Von den Kindern
Aus: Khalil Gibran, Der Prophet, München, 2007 (8).
Und eine Frau, die einen Säugling an ihre Brust drückte, sagte: Sprich zu uns von den Kindern.
Und er sagte:
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Sie kommen durch euch, doch nicht aus euch.
Und sind sie auch bei euch, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, doch nicht eure Gedanken.
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihren Körpern dürft ihr eine Wohnstatt bereiten,
doch nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus der Zukunft, und das bleibt euch verschlossen, selbst in euren Träumen.
Ihr dürft danach streben, ihnen ähnlich zu werden,
doch versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben schreitet nicht zurück, noch verweilt es beim Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebendige Pfeile abgeschnellt werden.
Der Schütze sieht die Zielscheibe auf dem Pfad des Unendlichen, und Er beugt euch mit Macht, damit Seine Pfeile umso geschwinder und weiter fliegen.
Freut euch der Beugung, die euch die Hand des Bogenschützen aufzwingt;
Denn so wie Er den flüchtigen Pfeil liebt, liebt er auch den verharrenden Bogen.
Vom geliebten Menschen enttäuscht
Margarita Gröting (*1966) in: Gotteslob Nr. 16, 2
Gott, du weißt, warum er mir das angetan hat.
Warum hat er mich so behandelt?
Warum hat er mich so tiefst verletzt?
Er weiß doch genau, wie ich mich jetzt fühle.
Ich kann an gar nichts anderes mehr denken.
Ich bin zutiefst traurig und enttäuscht.
Und ich dachte immer,
wir wären durch so etwas wie
Freundschaft verbunden.
Das schlimmste ist, dass sich meine
Trauer und Enttäuschung
auch auf meine Mitmenschen auswirkt.
Gott, du bist ein Gott der Liebe und des Friedens.
Hilf uns beide, dass wir wieder
aufeinander zugehen und miteinander reden,
dass wir wieder in Frieden und
Freundschaft miteinander umgehen können.
Zeige uns den Weg zu einem neuen Miteinander.
Du weißt, es liegt mir wirklich sehr viel daran.
Jesus als Jugendlicher
Aus: Martin Dreyer, Jesus rockt. Pattloch Verlag München 2011.
Jesus wuchs als Jugendlicher in der Stadt Nazareth auf. Vermutlich hatte er eine normale Kindheit, aber davon wissen wir heute nicht so viel. Er machte eine Lehre als Zimmermann und arbeitete im Betrieb von seinem Vater. Trotzdem war den Eltern relativ schnell klar, dass Jesus kein gewöhnlicher Junge war.
Eine Wende in seinem Leben war dann ein seltsames Treffen mit einem Mann, der Johannes hieß. Dieses Treffen fand statt als Jesus Ende zwanzig war.
Von Sorgenkindern und Kindersorgen
http://diepresse.com/home/meinung/bimail/4623699 - abgerufen am 20.12.2014
Essen ist fertig, Mutter auch
http://diepresse.com/home/leben/mode/4618762 - abgerufen am 20.12.2014
Eine amerikanische Studie zeigt auf, wie sehr der Druck, täglich frisch und gesund zu kochen, Müttern zusetzt.Und will zu Diskussionen über neue Wege anregen.
mehr >>>
Elternliebe - Kindesliebe
http://diepresse.com/home/meinung/weiberrede/4613773 - abgerufen am 20.12.2014
Die heilige Familie
Süddeutsch Zeitung, 17. 10. 2008
http://www.sueddeutsche.de/leben/527/314426/text/
Küche statt Kirche - Zukunftsforscher haben in einer Studie herausgefunden: Die Familie ist die neue Glaubensgemeinschaft.
Die Familie ist den Deutschen heilig. Das hat eine Studie ergeben.
Die Familie ist nach Ansicht von Zukunftsforschern die neue Glaubensgemeinschaft der Deutschen. Die Religion hat dagegen an Bedeutung verloren. "Die Menschen können nicht anders, als im Leben an etwas Unangreifbares zu glauben, um den Halt und Sinn des Lebens nicht zu verlieren", sagte Horst Opaschowski, Leiter der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, in Hamburg. "Sie glauben vor allem an die Familie, weil sie ohne das Gefühl der Geborgenheit nicht leben können."
Fast drei Viertel der Deutschen (71 Prozent) empfinden die eigene Familie als die Glaubensgemeinschaft, während die Zugehörigkeit zur Kirche beinahe in Bedeutungslosigkeit versinkt (zehn Prozent). Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Stiftung mit jeweils 1000 Befragten in neun Ländern. Danach stellt Deutschland im europäischen Religionsvergleich das Schlusslicht dar. Nur für knapp ein Viertel der Bundesbürger (24 Prozent) ist die Religion ein wichtiger Teil der Lebensqualität. Bei den Italienern wird die Religion doppelt so hoch bewertet (48 Prozent). Und doch gehen jeden Sonntag nachweislich mehr Bundesbürger in die Kirche (etwa fünf Millionen) als in das Fußballstadion (etwa 0,7 Millionen).
"Wer die Familie nicht ehrt, ist der Zukunft nicht wert”
Aus: Franz Kamphaus, Die Welt zusammenhalten. Reden gegen den Strom. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2008.
Gerechtigkeit in der Familienpolitik
Deutschland sieht alt aus. Was die Kinder angeht, gehören wir nach einer Statistik der Weltbank zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Das bleibt nicht ohne Folgen. Denken Sie nur an die ins Mark gehende Krise der sozialen Sicherungssysteme. Die Politik hat jahrzehntelang Familien mit Kindern benachteiligt. Sie hat nicht einmal solche Ungerechtigkeiten beseitigt, die höchstrichterlich als verfassungswidrig er-klärt worden sind. Dieser Skandal wirkt sich aus. Kinder sind zu einem alarmierenden Armutsrisiko geworden.
Die Schuld an dieser Entwicklung trifft nicht nur die Politik. Unsere Gesellschaft ist von kinderfeindlichen Tendenzen durchsetzt. Eltern, die in der Stadt eine Wohnung suchen, erfahren sehr schnell, dass Kin-der unerwünscht sind. Geeigneter Wohnraum ist zur kaum erschwinglichen Mangelware geworden. Frauen und Männer, die ihre Arbeitsverhältnisse den Erfordernissen einer Familie mit Kindern anpassen wollen, finden nur selten Arbeitgeber, die ihnen entgegenkommen. Besonders alleinerziehende Mütter vermissen Betreuungsmöglichkeiten, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können. Die Entscheidung für Kinder bringt schwerwiegende Nachteile mit sich. Mit einem Kind geht es oft noch. Je mehr es werden, desto schwieriger wird es.
Die Würde der Kinder verbietet es, sie als Mittel zum Zweck zu missbrauchen. Sie sind um ihrer selbst willen wichtig, nicht nur als künftige Erwerbstätige, Pflegende, Steuer- und Beitragszahler. Mit ihren Fragen und immer neuen Einfällen locken und reizen sie vor allem ihre Eltern und vermitteln gerade so Freude am Leben. Aus Liebe zum Leben sagen viele Paare Ja zu Kindern, auch wenn sie dafür Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Kinder bereichern nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihr soziales Umfeld, unsere Gesellschaft. Ohne sie ist die Gefahr groß, dass wir in der grauen Zweidimensionalität von Erwerb und Konsum versinken. Menschen, die Kinder bekommen und großziehen, tragen dazu bei, dass die "Polyphonie des Lebens” (Dietrich Bonhoeffer) nicht verstummt.
Bei der Familienpolitik geht es um eine Gestaltung jener Rahmenbedingungen, die das Glück mit Kindern und das Glück von Kindern beeinflussen. Kinder sind kein verrechenbares Verhandlungsobjekt, sie sind Subjekte und dürfen darum nicht instrumentalisiert werden. Gleichwohl sind die Erfordernisse und Folgen zu bedenken, die sich aus den vorhandenen oder nicht vorhandenen Kindern ergeben. Bei-des hat sein Recht. Wenn wir über Gerechtigkeit in der Familienpolitik sprechen, dann steht die Zuteilung von materiellen Gütern sowie von Lasten der Arbeit und der Finanzierung im Vordergrund.
Die Liebe braucht ein Haus
Aus: Dorothee Sölle, Mut. Kämpfe und liebe das Leben. Herder Verlag, Freiburg Basel Wein 2008.
Die Zahl derer, die mehrere Ehen oder eheähnliche Verhältnisse leben, wächst und der Zeitgeist sagt uns: Eine Liebe reicht einfach nicht fürs Leben! Die lebenslängliche Ehe wird als ein Gefängnis angesehen, in dem alle Liebe stirbt, in dem Zuneigung, Hoffnung und Trost erstickt werden. Flexibilität ist eine ökonomische, wichtige neue Tugend, alles ist doch im Fluss, und Langfristigkeit, Dauer und Bindung werden als sinnlose, destruktive Überich-Forderungen angesehen, Schnee von vor-gestern!
Mein Interesse ist nicht, das alte Gebot "Du sollst nicht ehebrechen” (2. Mose 20, 14) fundamentalistisch festzuhalten, wohl aber möchte ich eine Stimme hören, die mich an eine andere Vision von den Grundgesetzen der Liebe erinnert. Da tauchen so altmodische Wörter auf wie "Treue”, "in guten und in bösen Tagen”, "rain or shine”, "jetzt und immerdar” oder gar "bis der Tod uns scheidet”. Der positive Sinn des Gebotes ist für die christliche Tradition einfach zu benennen - und schwer zu leben: Du sollst an die Liebe glauben, du sollst sie für möglich halten, sie ist - wie alle Gnade - ein Geschenk und zu-gleich eine Aufgabe, beides lebenslänglich. Ob homo- oder heterosexuell, das interessiert Gott nicht so sehr wie einige seiner Verwaltungsbeamten.
Ich höre aus dieser Tradition der Liebe zwei Grundsätze, die im Widerspruch zum Zeitgeist stehen. Der erste ist am schönsten bei Goethe formuliert, er heißt: "Freiwillige Abhängigkeit, der schönste Zustand, und wie wäre er möglich ohne Liebe?” Der Zeitgeist vergötzt die Unabhängigkeit des Individuums, behauptet uns selber als autark, sich selbst genügend. Aber ist das genug zum Glück? Die wirklichen Beziehungen zwischen Menschen sind immer ein Angewiesensein, ein Einander-Brauchen, eine co-dependency, die sich selbst freiwillig abhängig macht. Wir sind einfach kleiner, dümmer, hässlicher ohne die Liebe, und je tiefer unsere Beziehung zum anderen ist, desto mehr wissen wir, wie es im Volkslied einmal heißt: "Ohne dich kann ich nicht leben, ohne dich kann ich nicht sein.” Ich kann zwar vielleicht essen oder "genießen” oder mich amüsieren, aber ich kann nicht "sein”. Ich muss nicht meine eigene Kraftspenderin oder mein Tröster sein, ich muss nicht nur ich selber sein, diese Grundannahme des abgelösten Individualismus zerstört, wir wissen es alle, die Erde und die anderen Lebewesen. Das feministische Denken hat zu diesem Verständnis von Gegenseitigkeit, von "freiwilliger Abhängigkeit” Wesentliches beigetragen, und es gehört mitten in dieses neue Verständnis von Liebe hinein, das wir brauchen und das in dem uralten Gebot versteckt ist.
Das zweite, was die Tradition lehren kann, ist, dass die Liebe kein Privatding ist, sie will mehr als das, sie braucht und will Öffentlichkeit, und gerade das ist in dem alten Begriff "Ehe” mitgedacht. Ich erinnere mich an eine lesbische Theologiestudentin, die im Gespräch mit einem Bischof sagte: "Warum wollen Sie meine Liebe nicht segnen, Herr Bischof? Warum darf ich mich nicht öffentlich zeigen?” Sie verstand besser als andere, dass die Liebe nicht etwas ist, was niemanden außer den beiden Beteiligten etwas angeht. Die Liebe braucht ein Haus, in das viele andere hineingehen, sie braucht das zusammen Essen und Reden, das Lachen und Weinen, sie braucht Kinder, nicht notwendig die eigenen, und vielleicht gar alte Tanten, sie braucht eine Einbettung in Gemeinsamkeiten. Es ist ein zerbrechliches Haus, wer könnte das bestreiten, aber zeitweilig Spaß zu haben ist keine Alternative zum Hausbauen! Das wirkliche Miteinander braucht mehr als das, was zwei Menschen sich geben können. Es braucht den Segen.
Der innere Zusammenhang von Ehe und Familie
Aus: Karl Kardinal Lehmann, Frei vor Gott. Glauben in öffentlicher Verantwortung. Herder Verlag Freiburg Basel Wien 2003.
Die Kirche bietet hier ein Leitbild für das Zusammenleben von Mann und Frau als eine Gemeinschaft in Liebe und Treue an. Ich spreche bewusst von einem Leitbild. Dieses gibt eine Orientierung an, zu der es zugleich einlädt. Leitbilder haben das Ziel, Sinn und Handlungsorientierung zu geben. Sie sind nicht schon ein fertiges Modell, das man den konkreten Gemeinschaften bloß überzustülpen braucht. Man muss ein solches Leitbild annehmen und es selbst aus der eigenen Lebenserfahrung und den eigenen Erwartungen heraus konkret bestimmen und wohl auch durch gemeinsame Vereinbarungen verbindlich machen. Solche Leitbilder müssen also von den Gemeinschaften selbst angenommen und von innen her mit Leben erfüllt werden.
Dieses Leitbild besteht in der grundlegenden Überzeugung, dass man Ehe und Familie nicht voneinander abkoppeln darf. Dabei verstehen wir beide Grundworte in folgender Weise: Ehe ist die nach dem Kennenlernen und gediegener menschlicher Erprobung verbindlich geschlossene Gemeinschaft von Mann und Frau in Liebe und Treue zueinander. Durch das unverbrüchliche Jawort von Mann und Frau ist diese Gemeinschaft auf Dauer angelegt und gibt ihr mit dem Segen Gottes eine eigene Beständigkeit und Verlässlichkeit. Viele Menschen erleben dies auch heute noch so. Wenn die Zahl der Trennungen und Scheidungen zunimmt, spricht dies noch nicht gegen diese Lebens-form. Sie ist anspruchsvoll und gewiss nicht einfach ein Mechanismus, der nach der Eheschließung wie von selbst funktioniert. Dies hat man wohl zu lange geglaubt.
Die Ehe zwischen Mann und Frau ist auf die Findung von Lebens-sinn und Glück angelegt. Dies bedeutet immer auch einen langen Prozess, in dem man sich gegenseitig in aller Verschiedenheit anzunehmen lernt und vieles Gemeinsame entdeckt. Dazu gehört auch die gegenseitige Unterstützung in den jeweils eigenen Aufgaben des Mannes und der Frau, nicht zuletzt im Beruf. Aber die Ehe erfüllt sich nicht einfach in dieser Zweisamkeit. Je mehr sie wirklich ihr eigenes Gelingen erfährt, umso mehr öffnet sie sich auch über sich hinaus. Sie kennt auch eine falsche Selbstgenügsamkeit, in der man sich am Ende nur mit sich selbst herumtreibt. Freilich ist es manchen Ehepaaren versagt, unmittelbare Erfüllung über sich hinaus in einem neuen Menschenwesen zu finden. Aber sie können oft auf ihre Weise anderen Menschen in der Nähe und in der Ferne beistehen und so zu einer eigenen Erfüllung ihres Lebenssinnes gelangen. Aber die Ehe strebt von Hause aus über sich hinaus und möchte die Schönheit und Fruchtbarkeit der Liebe von Mann und Frau zueinander weitergeben. Der Raum der Ehe weitet sich hin zur Familie. Diese ist nicht einfach nur irgendein Ort, wo eben Kinder sind, sondern weil die Familie durch die Ehe gegründet und gefestigt wird, kann sie aus ihr heraus zu einem Ort der Verlässlichkeit und der Geborgenheit werden, in dem Kinder sehnlich erwartet, mit Liebe aufgenommen und verlässlich in das Leben hinein begleitet werden. Dies schließt nicht aus, dass die Zeit für Kinder und ihre Zahl von den Eltern mitbestimmt werden. Aber sie sind nie nur unsere Wunschkinder. Sie sind immer auch ein Geschenk Gottes. Sie bereichern das Miteinander von Mann und Frau, aber auch die menschliche Gemeinschaft, ja die Menschheitsfamilie.
Miteinander leben
Aus: Phil Bosmans, Leben jeden Tag. 365 Vitamine für das Herz. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 1999/2008.
Heiraten ist schön, aber Verheiratetsein,
das ist noch etwas anderes.
Viele Ehen gehen auseinander.
Immer wieder stehe ich vor der Frage:
Warum wird es so schwer, wenn Menschen Tag für Tag
miteinander leben müssen?
Sie haben sich doch so leidenschaftlich gewollt,
haben sich füreinander entschieden.
Warum halten Menschen die Liebe nicht durch?
Dafür ist es äußerst wichtig, dass gegenseitige
Hochachtung und Liebe ständig weiter wachsen.
Schon Kleinigkeiten können dem Gedeihen helfen:
ein anerkennendes Wort, ein Kompliment,
ein aufmerksam ausgesuchtes Geschenk.
Es braucht Übung, den Geschmack des anderen zu verstehen.
Versucht immer wieder, entspannt miteinander zu reden.
Ein vertrautes Gespräch, eine geteilte Freude
und ein gemeinsam getragenes Leid
erneuern und bekräftigen das Verbundensein.
Liebe Frau, sei herzlich und verständnivoll.
Lieber Mann, sei nicht gleichgültig und kalt.
Habt Zeit füreinander.
Nur wirkliche Liebe hält durch.