Kontexte 30.03.2018
Erlösung
Aus: Anselm Grün, Biblische Bilder von Erlösung. Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2001.
Beim johanneischen Erlösungsmodell ist die Menschwerdung die eigentliche Erlösungstat Gottes. Indem Gott in der Menschwerdung auch die Sterblichkeit und Vergänglichkeit annimmt, erfüllt er den Menschen mit göttlichem und unvergänglichem Leben. Der Tod Jesu ist für diese Konzeption das sichtbare Zeichen, daß die Sterblichkeit des Menschen überwunden ist, weil sie in Gott hineingenommen worden ist. Johannes hat das in seinem Evangelium so ausgedrückt, daß er die Passion Jesu ähnlich schildert wie die Synoptiker, mit dem Unterschied, daß er dabei Jesus als den eigentlich Handelnden sieht. Jesus, dessen Königtum nicht von dieser Welt ist, geht zwar den Weg des Leidens, aber die Menschen können ihm nichts anhaben. Er bleibt souverän, da in ihm eine göttliche Würde ist, die die Menschen ihm nicht rauben können. Ja den schändlichsten Tod, den die Antike kannte, den Tod am Kreuz, schildert Johannes als Verherrlichung Jesu. Im Tod wird Jesus von Gott verherrlicht, da zeigt sich der Sieg des göttlichen Lebens über die Macht der Menschen, da wird das Kreuz zum Thron, von dem herab Christus über die Welt herrscht. Und der Tod wird zugleich der Ort, von dem aus er seinen Geist auf alle Menschen ausgießt und uns so sein göttliches Leben schenkt. Blut und Wasser strömen aus seiner Seite. In ihnen gießt er seinen Geist auf uns aus, damit wir nun größere Werke tun können als er. (Vgl. Joh 14,12)
Durch die Vergöttlichung verwandelt Gott unser Leben. Wir werden wie Jesus den Weg der Passion gehen müssen. Aber mitten in unserer Passion können wir mit Jesus sagen: »Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.« (Joh 18,36) Auch in uns ist nun eine göttliche Würde, die uns selbst die Menschen, die uns verletzen und kränken, die uns ablehnen und ausstoßen, nicht nehmen können. Auch unser eigenes Versagen, unsere Fehler, Schwächen, Krankheiten können uns dieses göttliche Leben nicht rauben. In uns ist schon mitten in der Passion unseres Lebens etwas Unvergängliches, etwas Göttliches. Das ist das Befreiende dieses Erlösungsmodells. Selbst der Tod kann uns nicht von dem Gott trennen, der schon in uns wohnt. Im Tod wird die göttliche Herrlichkeit, die jetzt schon in uns ist, erst in ihrer ganzen Schönheit offenbar. Da wird das Bild sichtbar, das Gott sich von uns gemacht hat. Da kommen wir ganz zu uns selbst, da wird uns unser Leib nicht mehr unser wahres Wesen verstellen, da leuchtet Gottes Herrlichkeit auch in uns auf und durchdringt Leib und Seele.
abgeschrieben
Heidi Rosenstock/Hanna Köhler (Gebetsmappe der Burg Altpernstein)
Abgeschrieben
Von denen, die ich liebe.
Verlassen, allein geblieben
Bete ich zu dir,
Christus, erbarme dich.
Festgefahren, stecken geblieben,
gefangen in den eigenen Stricken
bete ich zu dir,
Christus, erbarme dich.
Dem Leben abgestorben,
im Kampf mit dem Schmerz,
den Hunger nach Leben im Herzen,
fassungslos, ohnmächtig,
bete ich zu dir,
Christus, erbarme dich.
Holz auf Jesu Schulter
Jürgen Henkys nach dem niederländischen Met de boom des levens von Willem Barnard 1963, in: EG 97 und GL 291.
Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,
ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt,
Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn
Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.
Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht!
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn
Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.
Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn
Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu.
Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn
Hart auf deiner Schulter lag das Kreuz, o Herr,
ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn
Keiner hat eine Ahnung
Robert Seethaler, Der Trafikant, Zürich-Berlin: Kein & Aber, 6. Aufl. 2014.
... Aber ich sage Ihnen noch eines: Das meiste, von dem, was den Leuten den ganzen Tag so aus dem Gesicht fällt, kannst du gleich auf den Mist schmeißen! Weil nämlich zwar alle reden, aber keiner was weiß. Keiner kennt sich aus. Keiner ist im Bilde. Keiner hat eine Ahnung. Wobei: Heutzutage ist es vielleicht sowieso besser, nicht allzuviel Ahnung zu haben. Die Ahnungslosigkeit ist ja praktisch das Gebot der Stunde, das Nichtwissen das Leitmotiv der Zeit. Da kann man auch schon einmal hinschauen, ohne was gesehen zu haben. Oder hinhorchen und trotzdem nichts verstehen. Die Wahrheit ist die Wahrheit und aus, so sagt es sich für gewöhnlich. Ich aber sage: so ist es eben nicht! Zumindest bei uns, in unserer seligen Wienerstadt, gibt es so viele Wahrheiten wie Fenster, hinter denen Leut‘ sitzen, die irgendetwas gesehen oder gehört oder gerochen oder immer schon gewusst haben wollen. Und was für den einen richtig ist, das ist für den anderen die größte Trottelhaftigkeit auf Gottes Erden und umgekehrt. Und jetzt geben S‘ mir bitte einen Liter Milch, oder besser gleich zwei, weil was man hat, das hat man! Das Einzige, was übrigens in der Angelegenheit praktisch unstrittig ist: Es muss letzte Nacht gewesen sein. Und zwar so zwischen drei und vier. Das ist die Stunde der Ratten. Da haben die Politischen ausgeschrien, die Besoffenen nach Haus gefunden und die Milchzulieferer sind noch nicht unterwegs ...
sub pontio et pilato
Kurt Marti in: Georg Langenhorst, Gedichte zur Bibel. Texte – Interpretationen – Methoden. Ein Werkbuch für Schule und Gemeinde. Kösel Verlag, München 2001.
gott
heißt es
lebt in unserer stadt
ich suchte
von pontius bis pilatus:
pontius hielt mich
für einen mormonen
pilatus
für einen zeugen jehovas -
beide beriefen sich
auf die kirchensteuer die sie entrichten
und baten mit nachdruck
in ruhe gelassen zu werden
da niemand wisse
was wahr sei
gott
heißt es
lebt in unserer stadt
sub pontio et pilato
Karfreitag
Aus: Ilse Pauls, Auf dem Weg. Gedichte und Gebete. Edition Club d'Art - International, Klagenfurt 2009.
Wenn der Vorhang
unseres Lebens zerreisst -
was werden wir sehen?
Unsere Schuld?
Unsere Versäumnisse?
Das wird alles
draußen bleiben. -
Unsere Augen
werden übergehen ins Licht,
Du selbst wirst uns
die Tränen abwischen.
Selig sind die,
die geweint haben. -
Du wirst mich rufen,
und ich werde
Deine Stimme erkennen.
Du wirst mich
beim Namen rufen
und ihn zärtlicher sagen
als jemals ein Mensch -
und ich werde wissen:
Ich bin am Ziel.
Im Kreuz ist Heil - im Kreuz ist Leben - im Kreuz ist Hoffnung
Aus: Manfred Scheuer, Und eine Spur von Ewigkeit. Ein geistlicher Begleiter durch das Jahr. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2006.
Was tun wir denn, wenn wir das Kreuz verehren? Wir können nicht mit Tricks, durch Styling, durch Fitness und Wellness dem Leiden und dem Tod entkommen. Gegenüber Konzepten, die Glück als Leidlosigkeit denken, mag wahre Liebe den anderen gut "leiden". Maurice Blondel sieht im Leid sogar das "Siegel eines anderen in uns". "Wer an einer Sache nicht gelitten hat, kennt und liebt sie nicht... Der Sinn des Schmerzes liegt darin, uns zu entschleiern, was dem Erkennen und dem egoistischen Wollen sich entzieht, und Weg zur echten Freude [zu sein]. Lieben heißt... Freude und Tun eines anderen in uns lieben: diesen in sich liebenswerten und teuren Schmerz, den alle bejahen, die ihn erfahren und ihn gegen alle Lieblichkeit der Welt nicht tauschen möchten" (M. Blondel). Das ist kein Verliebtsein in die eigene Traurigkeit, kein lähmendes Ressentiment mit einem Gefühl des Weltschmerzes, kein Zelebrieren des eigenen Schmerzes. Bei der Fähigkeit zu leiden geht es eigentlich nur um die Fähigkeit, für die Zumutungen eines anderen zugänglich zu werden. Ein hart und wenig zugänglich gewordenes Subjekt, dem es allein um Selbsterhaltung geht, wird den anderen in schwierigen Situationen die kalte Schulter zeigen. Es geht um die Präsenz des anderen, das Aushalten der anderen, gerade nicht um Wehleidigkeit, die sich alles vom Leibe hält, es geht auch nicht um einen Jargon der Betroffenheit, die ihre Register nach Belieben zieht und ihrerseits selbst zur Keule werden kann.
…
Was aber heißt Erlösung der Welt durch das Leiden in Jesus? Jesus hat die Dunkelheit und auch die Bosheit der Menschen in seinem Leiden durchquert. Die Leidensbereitschaft ist Bedingung und Voraussetzung für die Nachfolge Jesu (Mt 16,24). Dieses Leiden ist kein Ausdruck von Resignation und Passivität. Aus der Einwurzelung in Gott durchbricht Jesus die unheilvolle Kette von Gewalt und Gegengewalt. Am Kreuz, dem Gipfel der Feindesliebe, der Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung, ist Jesus bereit, die Aggressionen der anderen auf sich zu ziehen und diese an sich auslaufen zu lassen. So überwindet er das Böse durch das Gute (Röm 12,21). In ihm zeigt sich auch der Unterschied zwischen dem wahren und dem falschen Gott: "Der falsche Gott verwandelt das Leiden in Gewaltsamkeit. Der wahre Gott verwandelt die Gewaltsamkeit in Leiden." So wird die Logik des Bösen von innen her aufgebrochen und überwunden.
[…]
Es geht dabei um die Frage, was Unrecht, Verwundungen, Kränkungen, Leid, eigene und fremde Schuld mit mir anstellen. Fluchtmechanismen wie die Suche nach Sündenböcken, die Verdrängung ins Unbewusste, Aggression oder das Herunterschlucken sind keine wirkliche Erlösung und Befreiung. Wenn Ungerechtigkeiten mit Hass bekämpft werden, wird das Unrecht mehr. Wer sich selbst und anderen nicht verzeihen kann, wird vom Groll dominiert. Dann greift Vergiftung um sich. Manche sammeln sich ein Vorratslager an Vorwürfen gegen andere an. So geht es mehr um die Frage, was den Kreislauf des Bösen vorantreibt, was die Spirale der - oftmals psychischen - Gewalt in die Höhe treibt und worin wirklich Heilung liegt. Letztlich geht es um die Frage der Gewaltlosigkeit und der Feindesliebe als einer wirklichen Therapie. Die Alternative ist: Heilen oder Zurückschlagen. Nur was in Liebe, in Verbindung mit Gott erlitten ist, ist erlöst.
todsicher
Alles Liebe in diesem Haus
Dreht sich um
Sicherheit und Ordnung
Die Sicherheit
Ist hier Ordnung.
Meine eisenbeschlagene Tür
Ist doppelt verschlossen
Und zweifach verriegelt:
- mich überfällt keiner!
(Text eines Gefangenen)
Mein kleines Fenster
Mein kleines Fenster
Ist mit sieben Gitterstäben
Und Maschendraht abgesichert:
- bei mir steigt keiner ein!
Mein Zimmer
Ist einbruchsicher:
- mir kann nichts passieren!
Es sei denn,
dass mir die Decke
auf den Kopf fällt.
(Text eines Gefangenen)
Unser Credo
Wir glauben,
dass alles
machbar ist.
Wir glauben,
dass alles
käuflich ist
Wir glauben,
dass Eigentum
heilig ist.
Wir glauben,
dass Konsum
selig macht.
Wir glauben
an Wachstum
und
an das ewige Leben
hier auf Erden.
Amen.
(Text eines Gefangenen)
Armutszeugnis
Manchem Kind
geht es im Heim
besser als zu hause.
Manchem Straftäter
geht es im Knast
besser als draußen.
Manchem psychisch Kranken
geht es in der Anstalt
besser als daheim
Manchen alten Menschen
geht es im Altersheim
besser als bei seinen Kindern.
Vielen Menschen
geht es auf dem Friedhof
besser
als mitten unter uns.
(Text eines Gefangenen)
Siehe deine Mutter
Elmar Gruber, Maria - Weg des Glaubens, Meditationen, München 1998.
Die Mutter unter dem Kreuz
wird unter dem Kreuz zur Mutter.
Der Jünger unter dem Kreuz
wird unter dem Kreuz zum Sohn.
Beide sind ihm gefolgt;
sie haben ihn begleitet
bis in die letzte Konsequenz
seiner göttlichen Liebe,
dorthin, wo er die ganze menschliche Urschuld
- Hass und Habgier -,
die er auf sich genommen hatte,
aus-litt in seinem Tod.
Dort sind sie Mutter und Sohn geworden.
Wer Jesus annimmt,
wer ihm folgt
bis in den tiefsten Sinn
seines gottmenschlichen Daseins,
der wird Mutter,
der wird Sohn,
- durch ihn.
Was sich in den Beziehungen menschlicher Verwandtschaft
irdisch nur erahnen lässt,
wird erst vollendet und erfüllt
durch seine Liebe,
durch die wahre Liebe,
die nicht angeboren ist,
die ich nicht selbst erzeugen kann,
die ich mir vielmehr schenken lassen muss
- immer wieder -
unter seinem Kreuz,
unter meinem Kreuz.
Im Willen Gottes,
das heißt: in seiner Liebe,
werde ich Vater, Mutter,
Bruder, Schwester, Kind -
alles zugleich,
für alle zugleich.
Und ich finde alles zugleich.
Durch Jesus,
der am Kreuze allen alles wurde,
kann auch ich für alle alles werden,
in der wahren Liebe,
die alles ertragen und tolerieren kann:
in Selbstaufgabe und Selbstverwirklichung zugleich.
Diese Verwandtschaft ist das Wesen der Kirche.
Sie entspringt aus Jesu hingebender
und hingegebner Liebe,
aus seinem Tod, -
aus seiner Seitenwunde.
Wenn ich Schwierigkeiten habe
in meinem und mit meinen irdischen Verwandtschaften,
als Vater, Mutter, Mann und Frau, Sohn und Tochter, -
dann habe ich einen Ort,
wo Beziehungen gesunden können.
Und wenn ich keinen Verwandten hätte,
der mir "zu-getan" ist,
dann kann mir durch Jesu Liebe
jeder andere,
jedes Geschöpf,
zum Ver-Trauten werden.
Andererseits kann jede Vertrautheit und Verliebtheit,
die mir das Leben schenkt
und die mich glücklich macht,
nur bestehen,
wenn ich mich bemühe,
dass sie dort verankert bleibt,
wo sie verankert ist:
im Kreuz Jesu,
in seiner Liebe.
Maria,
du Mutter, du Tochter, du Schwester,
du Frau, du Freundin, du Braut!
Du bist trotz allem Unverständnis
trauend und treu geblieben.
Du warst dabei,
als die Liebe Gottes
alles allen schenkte.
Seine Liebe macht dich zum Geschenk
für alle.
Du hast dich
verschenken lassen.
Maria,
unsere liebe Frau,
meine Mutter, meine Frau,
bitte für mich!
Klagegebet
Beate Jammer, Impulse und Modelle für alle Tage der Fastenzeit, Ruft ihm zu, der uns befreit, Ostfildern 2011.
Gott, es geschieht in dieser Welt so viel Schreckliches, Grausames, Furchtbares, so viel Unrecht und Menschenverachtung. Weltweit und in nächster Nähe werden Menschen ihrer Würde und Freiheit beraubt, werden tyrannisiert und erpresst, werden Opfer von Missbrauch und Gewalt.
Gott, wir klagen dir die Nöte dieser Welt und Zeit!
Das Leid in dieser Welt ist so unüberschaubar, es übersteigt unser Begreifen. Wir können es nicht fassen noch verstehen. Wir können es nur aushalten und um die Kraft bitten, einander beizustehen, Anteil zu nehmen, einander zu helfen, es zu ertragen.
Gott, wir klagen dir die Nöte der Menschen und des Lebens!
Wir schauen auf Jesus, der für uns das schwere Kreuz getragen hat und sein Leben für uns hingegeben hat. Wir richten unseren Blick auf das Kreuz deines Sohnes. Er ist der Inbegriff allen Leidens, aller Schmach und Schande, allen Scheiterns und aller Ohnmacht. Er ist für uns auch ein Zeichen der Hoffnung, des Trostes und des Segens. Mit ihm verbinden wir das Schicksal aller unschuldig Leidenden, aller, die an den Lasten des Lebens zu zerbrechen drohen oder daran zerbrochen sind.
Wir schauen auf Jesus, der für uns das schwere Kreuz getragen hat!
Wir rufen zu ihm für alle Leidenden und Gequälten dieser Erde, für alle, die verstummt sind oder laut aufschreien, für alle, die verzweifelt sind, die nicht mehr ein noch aus wissen und völlig am Ende sind.
Wir rufen Jesus, der für uns gestorben und auferstanden ist.
Tod und Auferstehung
Richard Rohr, Nur wer absteigt, kommt auch an, Die radikale Botschaft der Bibel, München 2010.
Leben ist nur im ewigen Kreislauf von Tod und Auferstehung möglich. Wer versucht, nur durch die Auferstehung zu leben, wird ebenso Schiffbruch erleiden wie derjenige, der nur bei Leiden und Tod ist. Tod und Auferstehung bedingen sich also gegenseitig.
Das Kreuz symbolisiert den Zusammenprall von Gegenteilen. Die Welt ist weder absolute Einheitlichkeit noch absolutes Chaos. Dieses Aufeinandertreffen von Gegensätzlichkeiten lässt sich auch in der Geometrie des Kreuzes erkennen. Man kann sich das Kreuz als aus zwei einander entgegen gesetzten Kräften bestehend vorstellen. Jesus hängt an diesen beiden sich widersprechenden Kräften.
Nach der Einsicht des Franziskaners Bonaventura wird ein Mensch gekreuzigt, wann immer er versucht, zwei widerstreitende Kräfte zusammenzuhalten. Wer zwischen zwei politischen Gruppen, den Liberalen, den Konservativen, oder zwischen Männern und Frauen eine Brücke schlagen will, wird als jemand wahrgenommen, der auf keiner Seite steht. Beide Seiten werden ihn als Häretiker, Sünder, Außenseiter oder Verlierer betrachten. Das meint Jesus mit den Worten: "Wenn ihr mir nachfolgt, wird die ganze Welt euch hassen." (Mk 13, 13)
Der Pfad der Nachfolge ist schmal. Es ist eine Berufung, sich auf das Mysterium des Kreuzes einzulassen, es zu leben und sich davon verwandeln zu lassen, um so zum Werkzeug der Verwandlung für andere zu werden. Der Preis, den wir zahlen, wenn wir Gegensätze zusammenhalten wollen, ist immer eine Art Kreuzigung. Der Heilige Augustinus erkennt diesen Zusammenhang im Mysterium der Passion.
Das Kreuz erinnert uns daran, wer wir sind
Anselm Grün, Das Kreuz, Münsterschwarzach, 3. Auflage 1999.
Das Kreuz stellt uns in Frage. Es zwingt uns vor die Frage, die wir selbst sind. Aber es gibt uns auch Antwort auf unsere Frage, da Gottes Sohn selbst als Mensch am Kreuz unseres Daseins stirbt. Und nur weil Gott uns im Tod seines Sohnes die Antwort auf unsere Frage gibt, macht er uns Mut, "unser verhehltes Bild anzublicken, es in unseren Kammern aufzuhängen, an die Wege zu stellen und die Gräber zu pflanzen" (Ebd. 138). Das Bild des Kreuzes, das wir in alle Räume des Lebens hängen, will uns immer wieder daran erinnern, wer wir eigentlich sind. Es will uns in Berührung bringen mit unserem wahren Menschsein und uns davor bewahren, größenwahnsinnig unserer eigentlichen Wirklichkeit davonzulaufen und uns etwas vorzumachen, als ob wir der Wahrheit unseres Lebens aus dem Weg gehen könnten. Das Kreuz zeigt uns unsere Endlichkeit, unser Verwiesensein auf den Tod. Und nur wer seinen Tod willig annimmt, wird wirklich Mensch. Und das Kreuz zeigt uns, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, dass wir immer auch Menschen des Himmels sind, aber zugleich auch Menschen, die aufeinander angewiesen sind, die nur als Menschen leben können, wenn sie die Solidarität zueinander verwirklichen. Das Kreuz ist für Rahner kein missionarisches Zeichen, das alle zum Christentum bekehren will, sondern ein Bild des wahren Humanismus, ein Bild, das dem Menschen immer wieder ein Bild seines ewigen Menschseins vor Augen hält und ihn einlädt, wirklich Mensch zu werden, anstatt sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben, die ihn nur in eine Scheinwelt führen.
Vom universalen Mythos der erlösenden Gewalt zum neuen Szenario des erlösenden Leidens
Ins Herz geschrieben: Die Weisheit der Bibel als spiritueller Weg. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2008.
Beim Kreuz geht es um die Weigerung, sich auf das simple Spiel von Gewinnen und Verlieren einzulassen, und um die Hoffnung auf ein mögliches Szenario, in dem alle Gewinner sind. Das Kreuz bedeutet die Weigerung, jemanden zu hassen oder den anderen unbedingt besiegen zu müssen, denn das würde bloß das immer gleiche Verhaltensmuster fortsetzen und wiederum Gegengewalt auslösen. Am Ende bliebe man gefangen in dem unerbittlichen Kreislauf, den die Welt immer als normal angesehen hat.
Das Kreuz sagt ganz klar, dass dem Bösen widerstanden werden muss, aber am Kreuz bin ich willens, die Spannung, die Zwiespältigkeit, den Schmerz auszuhalten, statt zu verlangen, dass bloß andere das tun. "Widersteht dem Bösen und überwindet es durch das Gute", sagt Paulus (Röm 12, 21). Das Kreuz führt vom universalen Mythos der erlösenden Gewalt zum neuen Szenario des erlösenden Leidens.
Am Kreuz des Lebens anerkennen wir, dass wir selbst Komplizen des Bösen sind und mit ihm kooperieren, statt dass wir uns einbilden, auf dem Podest moralischer Überlegenheit zu sehen. Jesus bejahte für sich, was Paulus lehrte: "Alle haben gesündigt" (Röm 5,12) und das Lamm Gottes hatte die Demut, mit uns "zur Sünde zu werden" (2 Kor 5,21), während wir so tun als stünden wir über ihr.
Scandalum Crucis (das Ärgernis des Kreuzes)
Johannes Paul II., Die Schwelle der Hoffnung überschreiten. Hoffmann & Campe, Hamburg 1994.
War es nötig, dass Gott seinen Sohn am Kreuz opferte, um den Menschen zu retten? Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen müssen wir uns fragen: Konnte es denn anders sein? Konnte Gott, sagen wir, sich angesichts allen Leidens vor der Menschheitsgeschichte anders rechtfertigen als dadurch, dass er das Kreuz Christi in den Mittelpunkt dieser Geschichte stellte? Man könnte natürlich antworten, dass Gott sich gar nicht vor den Menschen zu rechtfertigen braucht; es reicht, dass er allmächtig ist. Unter diesem Aspekt muss alles angenommen werden, was er tut oder zulässt. Dies ist die Haltung des biblischen Ijob. Doch Gott, der nicht nur Allmacht, sondern auch Weisheit und - wiederholen wir es noch einmal - Liebe ist, hat regelrecht den Wunsch, sich vor der Geschichte des Menschen zu rechtfertigen. Er ist nicht das Absolute, das außerhalb der Welt steht und dem deshalb das menschliche Leiden gleichgültig ist. Er ist Emmanuel, der "Gott mit uns", ein Gott, der das Los des Menschen teilt und an seinem Schicksal teilnimmt. Hier tritt eine weitere Unzulänglichkeit, ja sogar Fehlerhaftigkeit jenes Gottesbildes ans Licht, das die Aufklärung ohne Einwände angenommen hat. Sie stellt in Bezug auf das Evangelium sicherlich einen Schritt nach rückwärts dar, nicht in Richtung einer besseren Erkenntnis Gottes und der Welt, sondern in Richtung ihres Unverständnisses.
Nein und noch mal nein! Gott ist keiner, der nur außerhalb der Welt steht und zufrieden ist, der Allerweiseste und Allmächtigste zu sein. Seine Weisheit und seine Allmacht stellen sich freiwillig in den Dienst des Geschöpfes. Wenn es in der Menschheitsgeschichte das Leiden gibt, so wird verständlich, warum sich seine Allmacht durch das Kreuz mit der Allmacht der Erniedrigung geoffenbart hat. Das Ärgernis des Kreuzes bleibt der Schlüssel zur Deutung des großen Geheimnisses des Leidens, das auf so organische Weise zur Menschheitsgeschichte gehört. Hierin sind sich sogar die zeitgenössischen Kritiker des Christentums einig. Auch sie sehen ein, dass der gekreuzigte Christus ein Beweis der Solidarität Gottes mit dem leidenden Menschen ist. Gott stellt sich auf die Seite des Menschen. Er geht bis zum Äußersten: "Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave ... und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz."(Phil 2, 7 - 8). Alles ist hierin enthalten; alles persönliche und alles gemeinschaftliche Leid, das von Naturkräften verursachte und das vom freien menschlichen Willen hervorgerufene Leiden, Kriege, die Gulags und die Holocauste: der Holocaust der Juden, aber beispielsweise auch der Holocaust der schwarzafrikanischen Sklaven.
Im Kreuz ist Heil
Prälat Alois Haas in: Was er euch sagt, das tut, ein Gebetbuch zum Rosenkranz, Gegeben zur Vollendung des 70. Lebensjahres von Joachim Karl Meisner, Köln 2003.
Jesus, der für uns das schwere Kreuz getragen hat - 4. Geheimnis des schmerzhaften Rosenkranzes
Der Prozess Jesu ist beendet. Pilatus hat sich dem Schrei der Menge gefügt. "Er ist des Todes schuldig, ans Kreuz mit ihm."
Das Kreuz steht bereit. Jesus ergreift es und fügt sich gehorsam in den Willen seines himmlischen Vaters. "Nicht wie ich will, sondern wie du willst."
Der Herr hat sich festegehalten am Jesajawort: "Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird." Der Meister, von dem Heil und Leben ausging, beendet sein Leben am Kreuz.
Die Liebe, die Jesus so vielen Menschen erwiesen hat, findet ihren höchsten Ausdruck in der Hingabe seines Lebens am Kreuz. Und "wenn ich am Kreuz erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen."
"Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung."
Auch in unserer Zeit werden den Menschen viele Kreuze auferlegt: das Kreuz des Leidens, der Krankheit, der Einsamkeit, der Enttäuschung und nicht zuletzt das Kreuz des Todes.
Alle diese menschlichen Kreuze müssen die Menschentragen, gewollt oder ungewollt. Wir lehnen uns auf gegen das Kreuz und möchten ihm aus dem Wege gehen. Und doch bleibt es wahr, was Romano Guardini geschrieben hat: "Der Kreuzweg allein ist der königliche Weg zu Gott." Und von Bischof Bares von Berlin stammt das Wort: "Ehe Gott ein Kreuz auf unsere Schultern legt, lässt er unsere Schultern wachsen, macht er uns stark durch seine Gnade."
Nicht wir tragen das Kreuz, o Herr, sondern dein Kreuz, das du für uns getragen hast, trägt uns, es trägt uns durch alle Dunkelheit an dein Licht!
Ein neuer Anfang
Dr. Rainer Woelki, Bischof und Kardinal von Berlin in: Was er euch sagt, das tut, ein Gebetbuch zum Rosenkranz, Gegeben zur Vollendung des 70. Lebensjahres von Joachim Karl Meisner, Köln 2003.
Jesus, der für uns gekreuzigt wurde - 5. Geheimnis des schmerzhaften Rosenkranzes
Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) hat einmal gesagt, die ganze Welt sei ein großes Golgota, eine einzige Schädelstätte. Ein Wald von Kreuzen ist in ihr aufgerichtet, an denen Menschen hängen. Unter ihnen ist Jesus.
Er musste hinaus vor die Stadt, um zum letzten Menschen zu werden, der in den Tod der Schande gestoßen ist. Er musste sogar vom Vater verlassen werden, um den Becher menschlicher Not bis auf den Grund zu leeren. Seitdem können wir in alledem Gott finden.
Wir dürfen uns bei Christus wissen, wenn die Vorübergehenden und die Mitgekreuzigten zu unserem Kreuz hinauflachen, über unser Kreuz lästern, uns verspotten. Wir sind ihm noch näher, wenn sich auch uns das Antlitz des Vaters verbirgt und nichts und niemand uns antwortet. Sogar in unserem Sterben sind wir bei ihm. Denn seit Christus am Kreuz die Tiefen des Todes durchmessen hat, ist Gott auch dort zu finden.
Die neunte Stunde des Karfreitags war die kritischste Stunde der Weltgeschichte. Das Ende schien gekommen. Aber es war ihr neuer Anfang.
Golgota
Hermann Schlück, Stationen der Hoffnung, Ein Kreuzweg mit Bildern von Artist Batu, München 2002.
Es gibt sie glücklicherweise: diese wortgewaltigen Frauen und Männer, die mit ihrer Sprache den Glauben zum Leben erwecken. Eine von ihnen ist die Schriftstellerin Eva Zeller. Sie schrieb das Gedicht "Golgota":
Wann
wenn nicht
um die neunte Stunde
als er schrie
sind wir ihm
wie aus dem Gesicht geschnitten
nur seinen Schrei
nehmen wir ihm noch ab
und verstärken ihn
in aller Munde
Diese Zeilen sind sehr eindringlich: Mitten im Leid werden Menschen Christus ähnlich. Und so ist Christus bis heute mitten unter uns. Er lebt und leidet mit Thomas und den vielen aidsinfizierten Menschen in Kibera, dem scheinbar endlosen Slum am Rande von Nairobi. Christus wird verhöhnt und geschlagen mit Pia und den anderen Kindern, denen skrupellose Sextouristen in den "Vergnügungszentren" auf den Philippinen die Kindheit rauben. Christus schleppt das Kreuz mit Pedro und den Kindern, die für einen Hungerlohn in den Bergwerken der Anden Erz abbauen. Und Christus bricht unter der Last des Kreuzes zusammen mit zahlreichen Menschen bei uns in Deutschland, die scheinbar aus heiterem Himmel eine Schicksalsschlag erleiden und nicht wissen wie sei die Last tragen können.
Das Kreuz ist brutal. Es ist Galgen, elektrischer Stuhl und Fallbeil. Es ist Krankheit und erlittene Ungerechtigkeit. Es ist nicht ein Relikt aus einer anderen Zeit, sondern grausame Wirklichkeit. Auf dem Weg zur Auferstehung - sei es die des einzelnen Menschen, sei es die der gesamten Schöpfung - darf diese Realität nicht ausgeblendet werden. Auch nicht in der Kunst.
Ein Kreuz als denk-mal
Aus: Gabriele Miller, Ob du mich hörst? Gebete. Kösel 2000.
Das Kreuz in unserer Kirche -
es ist riesengroß,
beherrscht den ganzen Raum.
Um dieses Kreuzes willen
ist diese Kirche mir ein lieber Ort.
Da seh ich dich, o Herr,
hängend am Marterpfahl.
Du hast den Tod auf dich genommen,
unseren Tod in seiner schlimmsten Form.
Das lässt mich denken an meinen eigenen Tod.
Tod - man redet schon von ihm - ganz allgemein.
Doch denkt man auch konkret an ihn?
Ich glaube, Herr, ich denke wirklich daran,
dass mein Tod nicht auf sich warten lässt.
Er kommt - todsicher, wie man sagt.
Wie werde ich dann reagieren,
wenn ich merke: Jetzt ist er da?
Über das, was dann kommt,
habe ich viel studiert und gelernt,
hab dicke Bücher gelesen.
Ich habe auch - vielleicht gar nicht schlecht -
davon geredet - große Worte gemacht...
Ob das alles dann noch zählt?
Ich glaube:
Das alles spielt dann keine Rolle mehr.
Ich kann nur bitten: Steh mir bei,
komm mir entgegen,
lass mich dich treffen.
Von dir in den Arm genommen zu werden -
was dann kommt - ist das noch wichtig?
Komm mir entgegen, Herr,
das bitt ich dich.
Lass mich darauf vertrauen,
jag alle Zweifel weg!
voller schmerzen - mit krankheit vertraut
Andrea Schwarz, in: Wenn der Tod zum Leben wird, Schwarz Andrea/Stipinovich Angelo. Herder Verlag Freiburg Basel Wien 2002.
fallen
abgrundtief
bodenlos
zerbrochen
hingeworfen
ausgeblutet
tiefe
dunkel
ende
schweigen
stille
starre
und
ein leib
bäumt sich
glieder
verzerren
ein schrei
zerreißt
und stürzt
und
verliert sich
in
mir
hinabgestiegen
in mein reich
des todes
Dem ausgelieferten Schmerzensmann
Albert Höfer, Gottes Wege mit den Menschen. Don Bosco Verlag 1997.
Dieser Passionshymnus nähert sich von den Figuren des erschlagenen Abel (1.Str.) und des unschuldig leidenden Hiob (2. Str.) her an Jesus an (3. Str.), der gerade in seinem unschuldigen Leiden mit allen Leidenden solidarisch wurde (4. Str.). Wie ihm, dem unschuldigen Gottesknecht, die Sünde der Welt aufgeladen ist, kann er sie wegtragen (5. Str.). Die Doxologie (6. Str.) bittet um die Auferstehung.
1. Bruder Abel, du Erschlagner,
tausendfach erlittener Tod:
heut noch schreit von dieser Erde
dein vergossenes Blut zu Gott.
Unser Leid und Leiden-Machen
sammelt sich in deiner Not.
2. Hiob, der aus wehen Wunden
wie aus vielen Mündern schreit:
Wo ist für dich Platz auf Erden,
wo für dich Gerechtigkeit?
Dass sich dir dein Gott verschwiegen,
ist ein abgrundtiefes Leid!
3. Bruder Jesus, wahrer Abel,
den, der eigne Freund verstieß,
der in Todesqual gerufen,
warum ihn sein Gott verließ:
Welcher Wille dich die Wege
unsres Schicksals gehen hieß?
4. Ausgestoßner, Dorngekrönter,
als geschundner Schmerzensmann
führest du die langen Reihen
aller Todgeweihten an:
Jeder sein entstelltes Antlitz
in dein Schweißtuch drücken kann!
5. Du, dem alle Schuld der Erde
aufgeladen worden ist:
Trag sie weg, denn du allein nur
ohne Schuld und Unrecht bist.
O Lamm Gottes, hab Erbarmen,
hilf uns, Bruder Jesu Christ!
6. Wer soll nun den Tod besiegen,
wer das Leid in dieser Welt?
Gott, du, der mit Schöpferhänden
Jesu Leib umfangen hält:
Hauche Leben in das Tote,
dass es laut von die erzählt!
Du heilst mich von der Wunde des Todes
Anselm Grün, Schenk mir ein weites Herz. Gebete. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2006.
Herr Jesus Christus,
am Karfreitag feiern wir
dein Leid und deinen Tod am Kreuz.
Wie können wir dein Leiden feiern?
Wir sehen am Kreuz den Sieger über den Tod.
Wir verehren dein Kreuz,
weil an ihm das Heil der Welt gehangen.
Es ist für uns ein Hoffnungszeichen,
dass selbst das schlimmste Marterwerkzeug,
zum Ort der größten Liebe werden kann.
Dass die Grausamkeit der Menschen nicht
über dich triumphiert,
sondern deine Liebe stärker ist
als alle menschliche Bosheit.
Das Kreuz zeigt uns,
dass du alles in uns liebst, dass deine Liebe
in alle Gegensätze unseres Leibes und
unserer Seele hineinströmt.
Es gibt nichts in mir,
was nicht angenommen ist.
So schenkst du mir mit deinem Kreuz
das Vertrauen, dass ich ganz und gar
geliebt bin und dass mich nichts
von deiner Liebe zu trennen vermag.
Du selbst hast dein Kreuz mit dem Bild
der ehernen Schlange gedeutet,
das die Israeliten in der Wüste in ihrer Todesangst
anschauen sollten, um von den tödlichen Bissen
gerettet zu werden.
Du bist am Kreuz der göttliche Arzt,
der unsere Wunden heilt.
Der uns vom Gift der Schlange befreit,
vom Gift unserer Bitterkeit und unseres Grolls,
vom Gift der Rache und der Eifersucht.
Und du heilst uns von der tiefsten Wunde, die uns bedroht,
von der Todeswunde.
Wir schauen am Kreuz unsere Wunden an,
aber auch den Arzt für unsere Wunden.
So feiern wir am Karfreitag,
dass deine Liebe stärker ist als der Tod.
Deine ausgestreckten Arme am Kreuz sind
eine Geste der liebenden Umarmung.
Alles in uns ist von deiner Liebe berührt.
Deine ausgestreckten Arme laden mich ein,
mich in deiner Liebe zu bergen.
Verwandle mein Kreuz und die Kreuze der Welt,
damit an ihnen deine Liebe aufleuchtet. Amen.
ECCE HOMO
ECCE HOMO von Hilde Domin (+1912) aus der Sammlung "Ich will dich", im Jahr 1970 erstmals veröffentlicht.
Aus: Georg Langenhorst, Gedichte zur Bibel, Texte - Interpretationen - Methoden. Ein Werkbuch für Schule und Gemeinde. Kösel Verlag München 2004 (2001).
Weniger als die Hoffnung auf ihn
das ist der Mensch
einarmig
immer
Nur der gekreuzigte
beide Arme
weit offen
der Hier-Bin-Ich
"Seht den Menschen, ecce homo!" (Joh 19,5) - dieses Pilatuswort über den abgeurteilten, gemarterten, verhöhnten Jesus gibt dem kurzen, in wenigen, sehr genau kalkulierten Worten gesetzten Gedicht nicht nur den Titel, sondern zielt im Sinne einer Frage auf die Kernaussage: Was ist der Mensch? Das ganze Gedicht ist vor dem Hintergrund dieser Pilatusgeste lesbar. Die erste, für sich allein stehende Zeile gibt eine erste Antwort: Der Mensch, das ist jemand, der stets hinter den Erwartungen an sich selbst zurückbleibt, der stets die auf ihn, auf sich selbst gesetzten Hoffnungen enttäuscht, stets sich selbst in seinen Ansprüchen verfehlt: "Weniger als die Hoffnung auf ihn." Menschsein ist stets Mangeldasein, Fragment, Versuch, Stückwerk, Scheitern. Der folgende Dreizeiler bestätigt diese Lesart in einem poetischen Bild: Einarmig ist der Mensch, verkrüppelt, unfähig, das zu sein und zu tun, was er eigentlich sein und tun könnte oder müsste. Unbeholfen, unfähig, sich und anderen zu helfen, oder wenn nicht unfähig, dann immer nur teil-fähig.
Das aber ist nicht die ganze Antwort auf die Frage, was er, - der Mensch - denn sei.
"Hoffnung" - in der ersten Zeile des Gedichtes programmatisch angesprochen, hat einen Zielpunkt, bekommt eine Perspektive, findet eine Vision: im "gekreuzigten". Bewusst ist dieses Wort im Text klein geschrieben. Es geht hier zweifelsfrei einerseits um ihn, den Gekreuzigten, um Jesus, aber eben nicht nur um ihn. In der Kleinschreibung nimmt Hilde Domin all die anderen -tatsächlich oder im übertragenen Sinn- gekreuzigten Menschen in die folgende Aussage mit hinein. Wer zeichnet den Gekreuzigten, die Gekreuzigten im Gegensatz zu den zuvor "porträtierten" - normalen- Menschen aus? Wo der Mensch normalhin "einarmig" bleibt, verkrüppelt, unfähig - da ist der Gekreuzigte "zweiarmig", komplett, seine beiden Arme sind als weit geöffnete Einladung ausgespannt. Diese Offenheit bedeutet freilich allergrößte Schutzlosigkeit und Verwundbarkeit, eben der bedingungslos Offene und Schutzlose wird zum Gekreuzigten.
Diese offene Einladung konkretisiert sich im "Hier-Bin-Ich", im "Ich-Bin-Da", in jener Gottesbezeichnung, mit der sich Gott dem Mose aus dem brennenden Dornbusch als treuer, sich sorgender, auf Seiten der Menschen stehender und wirkender Gott offenbarte (Ex 3,14). Im Gekreuzigten - so Domin - zeigt sich Gott neu, wird der Jahwe des Alten Testaments neu sichtbar, in dem einen Gekreuzigten genauso wie in allen anderen ihm Nachfolgenden. Nachfolge darf dabei nicht tragisch missverstanden werden als krampfhafte Leidsuche, als bedingungslos ohnmächtiges Ducken unter unerklärliches Schicksal, sondern als Nachfolge in der Offenheit den anderen Menschen gegenüber, jener Offenheit, die Jesus als Nächstenliebe gekannt hat, Nachfolge als Versuch der "Einarmigen, ihre öffnende Zweiarmigkeit" zu entdecken.
So wird Hilde Domins ECCE HOMO zu einer vorsichtig andeutenden Wegweisung zum wahren Menschsein.
Das Mysterium der Passion
Aus: Richard Rohr, Nur wer absteigt, kommt auch an. Die radikale Botschaft der Bibel, Claudius Verlag 2010.
Das Kreuz symbolisiert den Zusammenprall von Gegenteilen. Die Welt ist weder absolute Einheitlichkeit noch absolutes Chaos. Dieses Aufeinandertreffen von Gegensätzlichem lässt sich auch in der Geometrie des Kreuzes erkennen. Man kann sich das Kreuz als aus zwei einander entgegengesetzten Kräften bestehend vorstellen. Jesus hängt an diesen sich beiden widersprechenden Kräften. Nach der Einsicht des Franziskaners Bonaventura wird ein Mensch gekreuzigt, wenn immer er versucht zwei widerstreitende Kräfte zusammen zu halten. Wer zwischen zwei politischen Gruppen den Liberalen und den Konservativen oder zwischen Männern und Frauen eine Brücke schlagen will, wird als jemand wahr genommen, der auf keiner Seite steht. Beide Seiten werden ihn als Häretiker, Sünder, Außenseiten oder Verlierer betrachten. Das meint Jesus mit den Worten: "Wenn ihr mir nachfolgt, wird die ganze Welt euch hassen (Mk 13,13)."
Der Pfad der Nachfolge ist schmal. Es ist eine Berufung, sich auf das Mysterium des Kreuzes einzulassen, es zu leben und sich davon verwandeln zu lassen, um so zum Werkzeug der Verwandlung für andere zu werden. Der Preis, den wir zahlen, wenn wir Gegensätze zusammen halten wollen, ist immer eine Art der Kreuzigung. Der heilige Augustinus erkennt diesen Zusammenhang im Mysterium der Passion. Das wahre Leben entsteht erst durch die Reise in den Tod und durch diese Reise in den Tod erkennen wir, wer Gott für uns und in uns und mit uns ist.
Nach meiner Überzeugung können wir Gott ausschließlich durch die Reise in den Tod erkennen. Wir können ihn nicht erfahren, indem wir ein Buch lesen. Wer sich hingegen auf den Tod eines anderen Menschen einlässt, kann Gott und das große Ganze finden...
Natürlich löst der Tod eines geliebten Menschen Bitterkeit und Rebellion aus. Doch der Tod ist - so paradox es scheinen mag - der große Lehrer des Lebens. Solange wir das Leben nicht verlieren, können wir es nicht finden und erst dann erkennen wir, dass wir es die ganze Zeit hatten, aber nicht realisiert haben, wie wertvoll und wunderschön es war.
Das erkennen wir erst, wenn das Leben im Alter allmählich unserem eigenen Körper oder jemandem weg genommen wird, den wir lieben. Menschen, die ein Kind verloren haben, stehen vor einem noch viel größeren Paradoxon: Sie müssen ihr eigenes Kind begraben und das stellt den natürlichen Ablauf auf den Kopf, nachdem die jüngere Generation die ältere zu Grabe tragen muss und nicht umgekehrt. Doch diese Menschen gelangen sehr oft an den Ort der Erleuchtung. Wahre Spiritualität in der zweiten Lebenshälfte ereignet sich im Loslassen. Die Hälfte des Lebens ist der Tod, er war es immer und wird es immer sein.
Anwesenheit Gottes
Heinrich Fries
Das gelebte Kreuz enthält eine Botschaft.
Das Kreuz ist das Zeichen all dessen,
was unser Leben durchkreuzt,
was in Verlassenheit, Leiden und Tod gipfelt.
Es ist nicht der Ort der Abwesenheit,
sondern der Ort der Anwesenheit Gottes.
Gott ist der, der in Jesus
in die Nacht des Leidens eingegangen ist...
In der Nacht unseres Lebens,
in Einsamkeit, Gottverlassenheit und Tod
ist Jesus gegenwärtig,
und in ihm sind die Nähe,
das Wort und die Liebe Gottes anwesend.
unappetitlich und zuwider
Verfasser unbekannt
Nach einem Vortrag kommt eine Frau und sagt schnippisch:
"An einen barmherzigen Gott im Himmel glaube ich auch,
aber einen gekreuzigten Jesus brauche ich nicht.
Ein leidender Christus am Kreuz ist mir zu unappetitlich und zuwider!"
Im Sommer 1988 ereignete sich in Borken ein schweres Grubenunglück.
Eine furchtbare Explosion zerstörte einen Stollen.
Eine fieberhafte Rettungsaktion begann.
Grubenwehren aus ganz Deutschland suchten nach Überlebenden und bargen Tote.
50 Bergleute kamen ums Leben.
Als kaum noch Hoffnung auf Überlebende bestand,
entdeckte man sechs Männer, die sich in ein Stollenende hatten retten können.
Man begann zu rechnen und zu planen.
Dann wurde eine Bohrung niedergebracht.
Und schließlich, nach langen Stunden von Bangen und Hoffen,
drangen die Retter zu den Verschütteten vor.
Die Retter kamen dreckig, verschwitzt in der gleichen Kleidung
und unter Einsatz ihres Lebens zu den Eingeschlossenen
und brachten sie vorsichtig und mit viel Mühe ans Tageslicht.
Was hätte den Bergleuten in ihrer Angst und Todesnot, in ihrer Dunkelheit und Bedrohung
ein schön angezogener Bergwerksdirektor über Tage genützt?
Die Retter kamen zu den Gefangenen herab,
sie kamen in die gleiche Not und Dunkelheit hinunter.
Sie trugen die gleiche Kleidung und wurden mit den Bergleuten eins.
Nur so konnten sie sie retten.
Dein Kreuz - mein Heil
Benedikt W. Traut
Zu deinem Kreuz fliehe ich mit meinem ganzen Wesen und Sein,
mit meinem Hunger und Durst nach Ganzsein und Geborgenheit,
mit meinem Suchen und Fragen nach dem Sinn, nach der Antwort,
mit meinem Seufzen und Weinen, Warten und Hoffen, mit aller Unruhe und Unrast,
mit allem Sehnen und Verlangen, mit aller Armut und allem Heimweh.
An deinem Kreuz finde ich Halt, in deinem Kreuz ist mir Zuspruch und Trost geschenkt,
von deinem Kreuz strömt mir Zuwendung und Güte entgegen.
Dein Kreuz ist ausgespannt groß und mächtig,
still und weit über allen meinen Gedanken, über allen meinen Wegen,
über allen Stunden und Tagen meines Lebens.
Dein Kreuz liegt in allen Tiefen und Abgründen meines Lebens.
An deinem Kreuz heilst du meine Zerrissenheit, den Widerspruch und Zwiespalt in mir.
An deinem Kreuz trägst du meine Krankheit und lädst auf dich meine Schmerzen,
meine Verzweiflung und Anfechtung.
An deinem Kreuz hältst du mein Elend und meine Not aus.
An deinem Kreuz hast du mein Leben durchsiegt.
Dein Kreuz ist unübersehbares Zeichen deiner Liebe zu mir.
Dein Kreuz ist meine Erlösung vom ewigen Tod.
Unter deinem Kreuz lege ich ab meine Sünde und meine Eitelkeit,
meine Verzagtheit und meinen Kleinglauben, alle Furcht und alle Sorgen.
Du entlastest mich von meinem Ungehorsam,
löst mich aus der Verstrickung meiner Schuld.
Du hebst mich aus des Todes Staub
und stellst meine Füße auf weiten Raum,
da keine Bedrängnis mehr ist.
Herrn Cogitos Meditationen über die Erlösung
Herbert Zbigniew
zu viele haben
des sohnes durchstochene hände gesehen
seine gewöhnliche haut
das war geschrieben
uns zu versöhnen
durch schlimmste Versöhnung
zu viele nüstern haben
mit wohlgefallen
den geruch seiner angst geatmet
man darf nicht
hinuntersteigen
durch blut sich verbrüdern
er hätte den sohn nicht senden sollen
er hätte besser
im barockpalast
aus marmornen wolken
auf dem thron des entsetzens
mit dem zepter des todes
weiterregiert
Kreuze ohne Christus tragen
Verfasser unbekannt
Kreuze ohne Christus tragen
ist für mich zu schwer.
Kommt ein Kreuz, so will ich sagen:
"Hilf mir tragen, Herr!
Lass das Kreuz allein nicht kommen.
Komme, Herr, ich bitt!
Geh den Kreuzweg Deiner Frommen
immer wieder mit."
Kreuze ohne Christus drücken
jedes Herz zu Tod.
Wohin soll das Leiden blicken,
kennt es keinen Gott,
der die Schmerzen nicht erschaffen,
aber sie erlöst.
Christus ist's, in dem wir raffen
mutig auf uns beim Erschlaffen,
unser Kreuz erhöh'n zum Fest.
Ich verneige mich in Ehrfurcht vor deinem Kreuz
Karl Rahner
Herr Jesus Christus, Heiland und Erlöser,
ich verneige mich in Ehrfurcht vor deinem Kreuz.
Ich will es betrachten und auf mich wirken lassen,
damit ich wieder ein wenig besser begreife und mir zu Herzen nehme,
was du getan und gelitten hast und für wen du gelitten hast.
Deine Gnade stehe mir bei,
dass ich die Stumpfheit und Gleichgültigkeit meines Herzens abschüttle,
dass ich wenigstens für kurze Zeit meinen Alltag vergesse,
damit meine Liebe, meine Reue und Dankbarkeit bei dir verweilen.
König der Herzen, deine gekreuzigte Liebe umfange
mein schwaches, armes, müdes und verdrossenes Herz.
Gib ihm ein innerliches Empfinden für dich.
Wecke auf in mir, was ich in mir vermisse:
Anteilnahme an dir, Liebe zu dir, Ernst und Treue,
die aushalten in der Betrachtung
deines heiligen Leidens und Sterbens.
Wir danken dir für dein Haupt voll Blut und Wunden
Nach Bernhard v. Clairvaux
Herr, Jesus Christus,
wir danken dir für dein Haupt voll Blut und Wunden.
Dein Haupt, das alle Ehre verdient,
wird von dichtem Dornengeflecht zerstochen.
Dein Antlitz, schön vor allen Menschenkindern,
wird durch Speichel entehrt.
Deine Augen, leuchtender als die Sonne,
werden im Tod verfinstert.
Deine Ohren, die den Gesang der Engel kennen,
vernehmen die Lästerreden der Sünder.
Dein Mund, der uns Worte des ewigen Lebens kündete,
wird mit Essig und Galle getränkt.
Es bleibt dir nichts als die Zunge,
damit du für uns Sünder betest.
Um dieser schmerzlichen Wunden willen hilf uns,
wenn wir gedemütigt werden um deinetwillen.
Lass dein göttliches Antlitz über uns leuchten und segne uns.