Predigtgedanken 25.06.2017
Gottes Wort löst und befreit
(Manfred Wussow 2017)
Jeremia ist ein Beispiel dafür, wie Menschen um der Wahrheit willen verfolgt werden. Das Flüstern hinter dem Rücken oder anonym in den sog. sozialen Medien entzieht sich der Kontrolle und erzeugt Angst. Die offen gesagte Wahrheit befreit. Mit der Zusage, dass der Herr mir beisteht, kann diese Angst bezwungen werden.
Flüstern
Wie hört sich das an, wenn viele flüstern? Sollen wir es einmal probieren? Flüstern (noch leiser) – nicht zu überhören. Aber auch nicht zu verstehen. Geraune. Und doch zu laut, um es nicht mitzubekommen. Ich beneide Jeremia nicht. „Ich höre das Flüstern der Vielen: Grauen ringsum! Zeigt ihn an! Wir wollen ihn anzeigen“
Ich könnte Ihnen die Geschichte Jeremias erzählen. Sie spielt vor langer Zeit. Es ist die Geschichte eines Menschen, der als Prophet ständig aneckt, der mutig für Wahrheit und Recht eintritt, den Mächtigen widersteht und dem Heer der Ja-Sager ein Nein entgegenbringt. Es ist die Geschichte eines Menschen, der mit Gott ringt, der Gott sogar zum Vorwurf macht, ihn hereingelegt, ja verführt zu haben. Wie ein junges Mädchen. Und Jeremias Geschichte ist die Geschichte eines Menschen, der ein großes Vertrauen findet: „Doch der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held.“ In der Lesung haben wir diese Worte gehört.
Wie hört sich das an, wenn viele flüstern? - Bedrohlich? Einschüchternd? Unheimlich? Wir spüren die Ablehnung. Sie liegt in der Luft. Wem gilt sie? Jeremia? Gott? Beiden? Erzählen wir doch - Flüstergeschichten!
In unserer lauten Welt hören wir Flüstern kaum. Wer auf sich aufmerksam machen will, muss sich in Szene setzen und geschliffene – oder auch ungehobelte – Sätze von sich geben. Doch in der virtuellen Welt, merkwürdig genug soziale Netzwerke genannt, flüstern viele. Nicht erkennbar, anonym, hinterrücks. Es gibt bei uns Menschen, die wissen, wie das ist – wenn viele flüstern. Der junge Mann, der sich kaum noch in die Öffentlichkeit traut, weil er Angst hat – und vom Flüstern verfolgt wird. Und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war erst vor ein paar Tagen zu lesen - nach dem Angriff auf Muslime in London: "Die sozialen Netzwerke sind seit Jahren voll mit düsteren Vorhersagen über einen drohenden Bürgerkrieg zwischen den Einheimischen in Europa und Einwanderern aus islamischen Ländern." Lautlos, mit der Wucht einer Welle. Gesichter gibt' s nicht.
Ängste
Was passiert eigentlich, wenn die Wahrheit geflüstert werden muss? Es ist, als ob sie versteckt, geschützt und verwahrt werden muss. Ist sie so gefährlich? Gefährdet ist sie sehr. Hinter vorgehaltener Hand, niemals in Sichtweite, bei Nacht und Nebel werden Worte mehr gehaucht als gesagt Wenn es nur keiner gehört hat! Es gab sogar schon Flüsterwitze, auf die die Todesstrafe stand. Weltweit wird an vielen Orten aber immer noch geflüstert. Es ist lebensgefährlich, Kritik zu üben, eine andere Meinung zu äußern, schöne Fassaden zu entzaubern. Es ist lebensgefährlich, menschlich zu sein. Flüstern ist die Kunst, nicht zu schweigen, aber auch nichts gesagt zu haben. Flüstern ist der Gefährte der Angst. Heute reden wir darüber. Heute bitten wir um das offene, freie Wort.
Ein Flüstern ist allerdings schön. Kennen Sie das? Erinnern Sie sich? Eine Liebeserklärung lässt sich zwar auch groß inszenieren, aber sie braucht nicht mehr als ein Flüstern. Doch irgendwann stehen zwei Menschen zu ihrem Wort. Dann bekommen es alle mit. Bei Einwänden, die es immer noch geben soll, lernen Menschen - vom Alter ganz unabhängig - ihrem Wort zu vertrauen. Es mag auch Angst geben, aber - so Johannes - Furcht ist nicht in der Liebe. Die wahre Liebe treibt die Furcht aus.
Ich höre das Flüstern der Vielen. Wir hören Jeremia. Wir legen unsere Gedanken dazu. Ängste, von denen wir wissen, Hoffnungen, die uns beflügeln. Jeremia konnte seine Zuversicht trotz bitterer Erfahrungen in einem Bekenntnis zusammenfassen: Der Herr steht zu mir wie ein gewaltiger Held. Das ist doch eine Liebeserklärung, oder? Ein offenes, freies Wort. Die Ängste müssen weichen. Jetzt wird nicht mehr geflüstert.
Menschenfurcht
Im Evangelium treffen wir dann auf das Wort, das im Hintergrund schon die ganze Zeit lautlos verharrt. Menschenfurcht! Es ist die Furcht, die Menschen voneinander trennt, die Furcht, die Grenzen zieht, die die Luft zum Atmen nimmt.
Jesus sagt: "Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt ist!"
Da ist das Flüstern wieder, aber entlarvt und enttarnt. Mit den Worten Jesu: Nichts wird geflüstert, was nicht in die Ohren platzt, und nichts wird hinter vorgehaltener Hand gesagt, was nicht den Marktplatz erobert. Eine grosse Freiheit, eine grosse Gelassenheit bricht sich Bahn. Die Wahrheit befreit! Sie lässt sich nicht klein machen, nicht klein reden!
Jesus spricht seine Jünger an. Sie sind mal Großmäuler, mal kleinlaut und mutlos. Schutz suchen sie hinter verschlossenen Türen und Fenstern. In dieser Enge mussten sie wohl nicht flüstern, aber zu sagen hatten sie auch nichts. Apostel sind sie trotzdem. Oder vielleicht gerade deswegen!
Jesus vertraut uns sein Wort an! Im Evangelium lesen wir tatsächlich: "Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag." Es ist ein kleines Sprachspiel. Das Evangelium wächst von innen nach außen, vom Kleinen ins Große, vom Schwachen ins Starke, von der Nacht in den Tag. Mutig ist das. Das Evangelium wächst uns über den Kopf. Oder: reißt uns mit. Wir spüren die Gewissheit, die Verlässlichkeit in dieser Zusage. Ja, es ist mehr Zusage als Aufforderung, mehr Geschenk als Aufgabe. Jedenfalls ist der helle Tag schon zu sehen. Von Flüstern ist jetzt nicht die Rede. Der Tag wird eigentlich auch erst hell, wenn die Wahrheit öffentlich wird, wenn das Schweigen lauthals zu lachen anfängt, wenn Menschen sich an die Hand nehmen, um Liebe untereinander zu teilen. Und weil das doch eine andere Liebe ist, mag sie das Flüstern nicht mehr. Von den Dächern soll verkündet werden, was uns ins Ohr geflüstert wurde. Das Evangelium. Gottes Wort, das löst und befreit, das uns trägt und führt. Wie am ersten Tag. Es werde Licht - und siehe: Es wurde Licht.
Fürchtet euch nicht!
Ich mag es, wenn Jesus so redet! Ich liebe den hellen Tag. Mit einem Fuß stehe ich schon in Gottes Reich. Die Engel flüstern nicht! Hier treffe ich auf Jeremia! Mit ihm möchte ich mich unterhalten. Er hat gewiss viel zu sagen. Geflüstert wird jetzt nicht. Jeder kann, soll es hören. DOCH der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held.
Fürchtet euch nicht. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können. Sagt Jesus.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinnen
in Christus Jesus,
unserem Herrn
Manfred Wussow, 25.06.2017
Manfred Wussow
Fürchtet Euch nicht!
(Bernhard Bossert 2017)
"Fürchtet Euch nicht!" ruft Jesus seinen Jüngern zu, die er zuvor ausgesandt hat, die Frohe Botschaft vom Himmelreich zu verkünden. Die Jüngerinnen und Jünger, die uns diese Worte Jesu überliefert haben, haben am eigenen Leib Verfolgung erlitten. Auch heute erleiden viele Christen Verfolgung um ihres Glaubens willen. Für uns bleibt die Herausforderung, für den Glauben Zeugnis abzulegen, auch wenn wir keine Verfolgung zu befürchten haben.
Gefährdung und Ermutigung
Am letzten Sonntag hörten wir von Matthäus, wie Jesus von der großen Ernte und den wenigen Arbeitern sprach und wie Jesus sich die zwölf Jünger auswählte. Er sandte sie zu verkünden, dass das Himmelreich nahe ist. Er gab ihnen die Vollmacht: Kranke zu heilen, Tote zu erwecken, Aussätzige rein zu machen und Dämonen auszutrieben.
Heute spricht Jesus von der Gefährdung seiner Jünger in ihrer Verkündigung. Vor allem aber ermutigt er sie. “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.“
Jesus versucht, die Vaterliebe Gottes für seine Jünger plausibel zu machen: wenn sich Gott um die Spatzen kümmert, dass sie leben und pfeifen, dann erst um seine Lieblinge, die Menschen. Gott kennt jedes Haar an unserem Körper, erst recht weiß er um jede Sorge und Angst unseres Herzens.
Dreimal wiederholt Jesus das „Fürchtet Euch nicht“! Weder um die Botschaft noch um sein eigenes Leben soll der Jünger Jesu sich Sorge machen. Jesus versichert uns, dass er zu uns steht, wenn wir uns zu ihm bekennen.
Menschen, die sich nicht fürchten
In den Diktaturen heute und denen der letzten hundert Jahre, im kommunistischen Osten, in der DDR und im Nationalsozialismus, gab es mutige Christen, die zu ihrem christlichen Glauben standen, und dafür Gefängnis und grobe Benachteiligungen in Kauf nahmen. Das wird heute anerkannt. Ihnen danken wir. Eine Reihe von ihnen, die tapfer ihr Leben verloren haben, ist von der Kirche seliggesprochen worden.
Statistiken belegen, dass in unseren Tagen nicht nur einzelne Christen verfolgt werden, sondern Gemeinden; dass Christen in religiös anders geprägten Ländern unter Druck stehen. Die Ausübung ihres Glaubens ist überschattet und kontrolliert von der Staatsmacht. Ich denke an einen Asylsuchenden, der gleich nach seiner Ankunft bei uns, darum bat, katholisch werden zu können. Er nahm treu den Taufunterricht wahr, der ein halbes Jahr dauerte, und wurde getauft. Jetzt meinte die Entscheidungsbehörde des Bundes für die Anerkennung als Asylanten bei uns, er könne auch in seinem Land Katholik sein. Seine eigene Erfahrung ist aber eine andere. Er habe erlebt, wie sehr die Meinungsfreiheit in seinem Land unterdrückt werde. Ich hoffe, dass es diesem betroffenen Mitchristen gelingt, in der Revision die Entscheider zu überzeugen, sodass er bei uns bleiben darf.
Glaubenszeugnis hier bei uns
Doch wie geht es uns? Wie weit sind wir bereit, uns für unseren Glauben einsetzen? Unser Glaubenszeugnis steht unter anderen Bedingungen. Wir haben normalerweise nicht unmittelbare Folgen zu befürchten. Ist es Menschenfurcht oder Bequemlichkeit, dass unser Glaube so wenig sichtbare Gestalt annimmt?
Mögen uns oft und immer wieder Erfahrungen zuteilwerden, in denen uns die vorbehaltlose und unendlich barmherzige Liebe Gottes aufgeht! So werden wir Freude finden. Der Heilige Geist gibt uns dann Mut und Schwung, Wir können aus der Ermutigung, die Jesus den Jüngern sagte: „Fürchtet Euch nicht“! leben. Wir vollbringen Taten aus seiner Liebe und bekennen uns zu seinem Namen.
Pater Bernhard Bossert, 25.06.2017
Pater Bernhard Bossert

Gezählte Haare
(Manfred Wussow 2014)
Meine Angst
Doch, ich habe Angst! Ich bewundere Jesus, ich bewundere das Evangelium: "Fürchtet euch nicht". Nicht einmal, gleich dreimal: "Fürchtet euch nicht". Ich schaue mich um. Ich lese die Zeitung. Ich sehe fern. Mir ist meine Unbefangenheit abhanden gekommen. Manchmal ist mir angst und bange.
Was sich im Osten Europas abspielt, in der Ukraine und ihrer Nachbarschaft, spielt sich vor unseren Haustüren ab. Der Hass rüstet wieder auf. Er versteckt sich hinter nationalistischen Parolen, er winkt mit historischen Argumenten, er kennt nur "schwarz" und "weiß". Aus den Unruhen ist doch längst Krieg geworden - und keiner sagt das so. Wir fürchten uns vor Worten ... wie vor Menschen. Die Wahrheit ist längst zum Opfer geworden.
Im Irak findet ein Land keinen Frieden. Alte Feindschaften sind wieder aufgebrochen. Auch im Islam. Zwischen Schiiten und Sunniten. Zwischen mächtigen Interessensgruppen. Zwischen Landesteilen. Die vielen Dissonanzen lassen sich nicht einmal mehr diplomatisch umschiffen. Eine ganze Region ist seit Langem gefährdet - und die christlichen Gemeinden schwanken zwischen Angst und Trotz. Wir wissen nur wenig von ihnen. Aber wir spüren die Furcht, die umgeht. Die eigene Hilf- und Ratlosigkeit auch.
Redet am hellen Tag
Ich muss heute eine Predigt über Furchtlosigkeit halten! Das Evangelium gibt sogar den Ton vor. Die Verheißung, aus dem Bann der Angst heraustreten zu können, ist wie ein cantus firmus, wie ein roter Faden, der in unser Leben reicht.
Als erstes fällt das Zutrauen Jesu auf, dass alles, was Angst macht, ins Licht geholt wird. Eine Kampfansage ist das! Machenschaften, die eingenebelt, verdunkelt oder verschleimt werden, wird der Schutz der Dunkelheit - und des Hinterzimmers - genommen. Die Angst, die gemacht wird, um Menschen einzuschüchtern und wehrlos zu machen, kommt auf den Tisch. Alle Welt redet darüber. Die Schlagzeilen leuchten dick. Ein tolles Bild, auch noch im Internetzeitalter: "davon redet am hellen Tag" ... "das verkündet von den Dächern." Von der Wahrheit sagt Jesus, dass sie frei macht. Die Angst muss ein Gesicht bekommen - und gesehen werden. Gesehen werden können. Darum reden wir von ihr, stellen uns ihr. Wer aufs Dach steigt, kauert nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange! - "Fürchtet euch nicht vor den Menschen!"
Ich denke jetzt auch an kritische Journalisten, die vor Ort recherchieren, unheilvolle Entwicklungen entlarven und durch ihre Berichterstattung so manche Fassade bröckeln lassen.
Gezählte Haare
Jesus sagt dann auch, dass unsere Haare auf dem Kopf alle gezählt sind. Alle. Dieses Bild ist mir schon immer nachgegangen. Ein Wunder sondergleichen. Schon der Versuch, mit dem Zählen anzufangen, scheitert an der Haarpracht (und selbst die Stoppeln auf der Glatze lassen sich nicht zählen). Dass uns kein Haar gekrümmt werden kann - nicht einmal ein (!) Haar - macht mutig und verwegen. Während die Angst Haare auf den Zähnen hat.
Wer die Haare gezählt hat? Wer sie behütet? Es ist Gott, der seine Schöpfung bewahrt, sie liebevoll in seine Hand nimmt. Das ist das stärkste Argument gegen die Angst. Ich denke jetzt aber auch an meine Mutter. Manches Mal habe ich meinen Kopf in ihren Schoß gelegt. Besonders, wenn ich vor etwas Angst hatte und am liebsten abgehauen wäre. Sie streichelte meinen Haarschopf, ließ meine Haare durch ihre Finger gleiten. Viele Jahre danach ist das für mich immer noch das Bild geborgenen und glücklichen Lebens. Dass danach die Angst weg war, kann ich nicht erzählen, aber sie war leicht geworden - durchlässig. Liebe macht stark. Das erzählt das Evangelium.
Christusbekenntnis
Ich darf heute eine Predigt über Furchtlosigkeit halten! Das Evangelium gibt sogar den Ton vor. Es erzählt von Licht - und von Geborgenheit. Von einem hellen Tag - und von gezählten Haaren. Das macht Mut, aus dem Bann der Angst herauszutreten - und die Dinge dieser Welt beim Namen zu nennen. Trotzig und unverzagt!
Die Furchtlosigkeit führt in ein Bekenntnis. In das Bekenntnis zu Christus. In dem "Ja" zu ihm wird uns ein Raum geschenkt, in dem sein Licht leuchtet und uns seine Liebe bleibt. Mitten in der Welt, die wir lieben - und die wir gelegentlich auch fürchten. Obwohl wir uns oft schwach und klein vorkommen (und uns auch in dieser Rolle durchaus verstecken können), wird uns heute zugemutet und zugetraut, im Licht Jesu zu leben und für andere Menschen zu kämpfen. Er geht uns voran, er stärkt uns den Rücken, er ist an unserer Seite.
Bekennen wir ihn, ist das auch eine Absage an alle dunklen Mächte. Und eine Zusage, Liebe und Geborgenheit zu schenken. Das eine nicht ohne das andere. Die Predigt über die Furchtlosigkeit hat Jesus gehalten.
In einem Lied von Jochen Klepper - 1938 in einer Zeit der Angst geschrieben - heißt es:
Auch deines Hauptes Haare
sind wohl von ihm gezählt.
Er bleibt der Wunderbare,
dem kein Geringstes fehlt.
Den keine Meere fassen
und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen,
ist dir als Mensch genaht.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Manfred Wussow, 22.06.2014
Fürchtet euch nicht
(Manfred Wussow 2008)
Abgezählt
Tolle Bilder: Der Spatz für 2 Pfennig auf dem Markt - wertlos also -, aber Herr der Luft. Beflügelt, gehalten von dem Willen des Vaters im Himmel. Wie gelungen sein Flug ist! Schaut ihn euch an!
Größer noch als dieses ist das Bild von den abgezählten Haaren. Eins, zwei, drei, hundert, tausend - irgendwann verheddern sich Finger und Haare. Ein schier unmögliches Unterfangen, die Haare auf dem Kopf zu zählen. Ihr könnt es versuchen. Ein schönes Gefühl auf dem Kopf wird es zwar sein. Aber es kommt nichts dabei rum. Verliebte tun es trotzdem. Sie spielen mit den Haaren. Absichtslos. Zärtlich.
Große Bilder kommen immer bescheiden daher: Gott schenkt dem Zwei-Pfennigs-Spatzen den Himmel und lässt nicht einmal eins unserer Haare aus den Fingern. Bilder für Gottes Fürsorge und Größe, für seine Liebe. Was ist schon ein Spatz? Was ist schon ein Haar? Auf dem Markt: nichts. In den Augen Gottes: alles.
Jochen Klepper hat 1938 in bedrückender Zeit diese Erfahrung in Worte gekleidet:
Auch deines Hauptes Haare
sind wohl von ihm gezählt.
Er bleibt der Wunderbare,
dem kein Geringstes fehlt.
Den keine Meere fassen
und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen,
ist dir als Mensch genaht.
Angst
"Als Mensch genaht." Es ist die Geschichte Jesu. Seine Geschichte auch mit mir. Ich spüre eine Vertrautheit, die meiner Seele Flügel verleiht.
Jesus spricht die Angst an, die Menschen vor einander haben - und einander machen. Die Bilder, die er nachzeichnet, mit einfachen Strichen, erzählen Lebenserfahrungen: drei von mögen beispielhaft für sie stehen
Ein Mensch steht morgens auf und hat Angst vor dem Tag. Die Gedanken drehen sich im Kopf. Er fürchtet, seinem Leben nicht gewachsen zu sein, darf es aber nicht zeigen. Hinter einer sicheren Fassade wohnt die Unruhe. Nachts aber kommen Gesichter hoch: Chefs,
Kollegen, Untergebene…
Mit Liebe fing alles an. Schönes Einvernehmen, viel Verständnis. Dann aber, das Ja-Wort ist längst erklungen, wächst der Druck. Die Erwartung. Warum entpuppt sich die Partnerin, der Partner jetzt als Drache? Irgendwann versagt die Rechtfertigung. Die Angst wächst. Lähmt. Macht aus der Liebe einen Albtraum…
Jemand möchte sagen, dass er Christ ist. Er möchte sich nicht rechtfertigen. Im Gespräch aber merkt er, wie schwer es ist, darüber zu reden. Ihm schlägt Unverständnis entgegen. Er hört, mal ausgesprochen, mal hinter Floskeln versteckt, die Frage, wie er als moderner Mensch solchen Unsinn glauben könne. Manchmal beschleicht ihn die Angst. Er könne doch auch schweigen…
Über Ängste könnte jeder von uns etwas sagen. Wie sie sich einnisten, sich in Gedanken vergraben, Herzen gefangen nehmen. Dabei ist die Angst vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Liebesverlust hier nicht einmal auf dem Bildschirm. Heute dreht sich alles um die Angst, die ein Mensch vor dem anderen hat - oder macht. Schlimm sind die Ängste, die nicht bejaht werden können, nicht ausgesprochen werden, zum Schweigen verurteilt sind.
Fürchtet euch nicht
Jesus sagt: Fürchtet euch nicht! Im Evangelium hören wir das immer wieder deutlich heraus. In unserem Abschnitt gleich 3 Mal. Wir spüren, wie viel Gewicht in diesen Worten liegt.
Aber weil Imperative dieser Art nicht helfen, eher die Angst noch schlimmer machen, redet Jesus anders mit uns: Er lässt uns Spatzen nachsehen - und auf die Haarpracht schauen. Für ihn sind das Beispiele: Beispiele, wie Gott Weite und Nähe schafft. Er fragt nicht nach dem Wert, auf den wir Menschen stoßen - nur 2 Pfennig, er fragt auch nicht danach, was uns unmöglich ist - Haare zählen, er lässt uns staunen. Über Gottes Art, den Dingen ihr Gewicht zu geben. In Gottes Hand schrumpft die Angst auf ihr Maß und verliert die Macht. Jesus sagt: "Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen"
Einen Punkt stellt Jesus allerdings besonders heraus: die Angst, sich zu ihm zu bekennen. Die Furcht, sich als Christ zu outen, ist also uralt und keineswegs ein Zeichen unserer Zeit. Was schwierig ist und hemmt, kennen wir, wir kennen auch die Vorurteile, die eigenen Zweifel. Die Angst, sich einem anderen Menschen zu öffnen, das Vertrauen, ja Glauben mit ihm zu teilen, steht aber für viele Ängste, den eigenen Weg zu gehen. In jeder Angst vor einem anderen Menschen steckt die Sehnsucht, nicht aufzufallen, mit dem Strom zu schwimmen, in keine Auseinandersetzung gezogen zu werden. Und jede Angst, die ein Mensch schürt, dient einem Machtanspruch, will Unterwerfung, fordert Übereinstimmung.
Das Bekenntnis zu Jesus aber drückt aus, dass wir nicht Unterworfene, sondern Befreite sind. Nicht Alleingelassene, sondern Geliebte. Wir gehören zu dem Herrn, der die Kapriolen der Spatzen kennt - und meine Haare auf dem Haupt. Mehr noch: Er misst den Spatzen den Himmel aus!
Jesus sagt: "Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen."
Rede am hellen Tag
Angst stellen wir immer dunkel dar. Schemenhaft, Schattenhaft. Es ist geradezu ein Merkmal der Angst, sich aus dem Hellen zurückzuziehen, ja, die Sonne in ein schwarzes Loch zu verwandeln. Wenn aber die Angst die Flucht antreten muss, wird aus Nacht Tag. Die Schemen und Schatten verlieren ihre Konturen, werden sichtbar, ans Licht gebracht.
Jesus hat für uns den hellen Tag vorgesehen. Das tut gut. Wir stehen auf. Wir lassen uns nicht unterdrücken. Jesus sagt:
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.
Philipp Spitta hat diesen Auftrag gereimt:
Es gilt ein frei Geständnis
in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis
bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde Toben,
trotz allem Heidentum
zu preisen und zu loben
das Evangelium.
Manfred Wussow, 22.06.2008
Die Gretchenfrage...
(Elisabeth Matthay 2008)
"Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon."
Sicher haben Sie sie erkannt, die berühmte "Gretchenfrage" aus Goethes "Faust". Das fromme Mädchen ist verunsichert: "Glaubst du an Gott?" fragt sie Faust unumwunden. Sie möchte also von Faust ein Bekenntnis, das dann allerdings nicht so klar und eindeutig ausfällt, wie sie es sich wünscht. Faust ist ein Gelehrter, dem sich die Dinge so einfach nicht darstellen; und außerdem ist er mit Mephisto im Bunde. Wie sollte er da ein Glaubensbekenntnis ablegen können?
Wieso eigentlich hat diese "Gretchenfrage" eine sprichwörtliche Berühmtheit erlangt? Offenbar trifft sie einen Nerv, eine empfindliche Stelle, berührt sie den Dreh- und Angelpunkt bei uns Menschen. Den Punkt, an dem die gesamte Lebenseinstellung eines Menschen hängt; an dem man erkennen kann, wes Geistes Kind jemand ist.
"Glaubst du an Gott?" Diese schlichte und direkte Frage wagt man heutzutage kaum noch zu stellen, ruft sie doch Verlegenheit hervor, wird als peinlich und indiskret empfunden. Ein persönliches Bekenntnis, das ist ein Tabu, oft selbst in der Familie und sogar in der Kirche! Religion ist, bitteschön, Privatsache, etwas fürs stille Kämmerlein; darauf möchte man nicht angesprochen werden. Zudem: Religion ist in den Augen vieler Menschen etwas von gestern; das ist etwas für naive Gemüter; ein Trostpflaster für die Zukurzgekommenen; eine Zuflucht für die auf der Strecke Gebliebenen. Als aufgeklärter, gutsituierter Zeitgenosse braucht man sie nicht - sie wäre nur ein Störfaktor.
Zum Bekenntnis gehört Mut.
Wie stellt sich das heutige Evangelium zu diesem Befund? Es erteilt jeder Leisetreterei eine klare Absage. Jesus fordert dort genau die gegenteilige Haltung, wenn er mit unmissverständlicher Klarheit sagt: "Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen." Jesus verlangt mit diesen Worten das öffentliche, eindeutige Bekenntnis derjenigen, die ihm folgen. Ein Bekenntnis erfordert immer Mut. Denn ich "oute" mich damit, wie das auf Neudeutsch heißt, ich gebe meine Deckung auf, gebe mich zu erkennen und werde damit angreifbar; zumal wenn ich einen Standpunkt oder eine Überzeugung vertrete, die nicht opportun ist.
Das Bekenntnis zu Jesus, zum christlichen Glauben kann unter Umständen sehr schwerfallen. Denn da ist die Furcht, sich lächerlich zu machen, nicht ernst genommen zu werden; die Furcht, als Außenseiter, als Sonderling dazustehen; die Furcht, handfeste Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Jesus weiß um diese Furcht. Immer wieder aber fordert er uns in diesem Evangelium auf, der Menschenfurcht nicht zu erliegen und die eigene Überzeugung nicht zu verraten. Denn im Zustand der Furcht billigt man den Widersachern eine Macht zu, die diese gar nicht haben. Und man verkennt, dass über allem irdischen Geschehen die fürsorgliche, behütende Liebe Gottes waltet. Mit Jesu Worten: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können." Und: "Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht!"
Das Bekenntnis bringt Gewinn.
Warum aber ist das Bekenntnis Jesus so überaus wichtig? Warum fordert Jesus so nachdrücklich dazu auf? Hat er es denn nötig, seine Gefolgsleute so auf sich einzuschwören? Ich glaube, er tut dies sehr im Interesse seiner Anhänger, in unser aller Interesse. Wir können mit dem klaren Bekenntnis zu ihm nur gewinnen. - Wie das??
Machen wir uns klar: In dem Wort "Bekenntnis" steckt das Wort "Kenntnis". Ich kann nur dann ein gültiges, ein echtes, ein verbindliches Bekenntnis ablegen, wenn ich denjenigen oder dasjenige kenne, für den oder das ich einstehe. Sonst bleibt es bei einem wohlfeilen, wertlosen Lippenbekenntnis. Um aber etwas wirklich zu (er-)kennen, muss ich mich dafür interessieren und mich intensiv damit auseinandergesetzt haben. Dann komme ich vielleicht zu dem Schluss: Diese Person oder diese Sache ist für mich und mein Leben sehr wichtig. Darin finde ich mich selbst wieder. Deswegen möchte ich dazu stehen, komme, was wolle.
Eine solche radikale Haltung in der Liebe hat der Dichter Bertolt Brecht einmal sehr schön beschrieben mit den Worten:
"Ich möchte mit dem gehen, den ich liebe.
Ich will nicht ausrechnen, was es kostet.
Ich will nicht nachdenken, ob es gut ist.
Ich will nicht wissen, ob er mich liebt.
Ich will mit ihm gehen, den ich liebe." –
Ein Bekenntnis hat immer auch etwas mit Selbst-erkenntnis zu tun. Das ist ein erster Gewinn.
Sodann hat ein Bekenntnis, ob in Wort oder in Tat oder in beidem, etwas sehr Befreiendes . Denn es ist ein Akt der Überwindung innerer Barrieren und äußerer Einengungen: der Einengung durch fremde Erwartungen, durch Vorurteile, Konventionen, vielleicht sogar Bedrohungen. Letztlich ist es ein Akt der Überwindung der Furcht. Und: "Wer die Furcht überwunden hat, der hat den Tod überwunden".
Wenn ich zu dem stehe, wovon ich überzeugt bin, auch wenn ich auf Widerstand stoße, dann merke ich weiter, dass ich eine neue Standfestigkeit gewinne, dass ich mit mir selbst in Berührung komme und dass mir daraus Kraft erwächst; die Kraft, die darin gründet, dass ich mit mir übereinstimme, dass ich mir treu bleibe in dem, was mir wichtig ist; dass ich diesem die Ehre erweise. Dies gilt grundsätzlich, ganz gleich, ob ich mich zu meiner religiösen Überzeugung bekenne oder zu einem Menschen oder zu einer Tat. Immer da, wo ich einstehe für etwas mir Wichtiges - und das muss gar nicht immer ein nach außen spektakulärer Akt sein - gewinne ich an Festigkeit, an Furchtlosigkeit, an Freiheit .
Immer da, wo ich etwas mir Wesentliches bezeuge, wachse ich, werde ich kenntlicher und wahrnehmbarer. Vielleicht meint genau dies der Satz Jesu: "Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen." Wie soll sich Jesus zu einem Menschen bekennen, der etwas Wesentliches leugnet und sein Vorhandensein als Person damit ein Stück weit aufgibt? Bekennen kann man sich nur zu jemandem (oder etwas), das klar erkennbar ist.
Das Bekenntnis bezeugt den Geist Gottes.
Noch ein letzter Gedanke sei aufgegriffen. Jesus möchte uns, seinen Anhängern, die Furcht vor dem klaren Bekenntnis zu ihm nehmen. Er verweist auf den Wert, den ein Mensch vor Gott hat - "Ihr seid mehr wert als viele Spatzen." - und der ihm alle Obhut Gottes sichert. In dieser Gewissheit wird der Mensch befähigt und gestärkt zu einem klaren Gottesbekenntnis. Denn letzten Endes erwächst der Mut zum Bekenntnis eben nicht aus eigener Kraft, sondern er ist ein Geschenk des göttlichen Geistes, ein Zeichen seines Wirkens. So heißt es zuvor in Mt 10,20: "Nicht ihr werdet dann [vor Gericht] reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden."
Die Geschichte des hl. Stefanus ist ein erstes eindringliches Beispiel für das Bekennertum aus der Kraft des Geistes Gottes. Stefanus, erfüllt vom Heiligen Geist, sah den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen, und aus diesem Beistand des Himmels erwuchs ihm die Kraft zum Martyrium. Aus einem solchen Bekenntnis kann letztlich nur Gutes, nur Segen erwachsen, für uns selbst, aber auch für die Menschen, die unser Bekenntnis vernehmen. Als Zeugen sind wir Helfer, Mitarbeiter des Geistes Gottes, der mit uns und durch uns wirken will.
Mit den Worten eines schönen Kirchenliedes bitten wir:
"Komm, Herr, segne uns,
dass wir uns nicht trennen,
sondern überall uns zu dir bekennen."
Elisabeth Matthay, 22.06.2008