Predigtgedanken 31.12.2017
Gott geht mit uns in die Zukunft
(Hans Hütter 2017)
Eine ungewisse Zukunft weckt in uns Ängste. Jesus lehrt uns, die Gegenwart und das Wirken Gottes in den Zeichen der Zeit wahrzunehmen. Gott ist da, auch in schwierigen Phasen des Lebens. An der Schwelle zum neuen Jahr schauen wir dankbar auf die Vergangenheit und nehmen darin das Wirken Gottes wahr, dann können wir vertrauen, dass er auch in Zukunft bei uns sein wird.
Blick in die Zukunft
Gerne würden viele Menschen wissen, was das bald beginnende neue Jahr bringt. Niemand kann es voraussehen, kein Wahrsager, kein Horoskop, kein Zukunftsforscher. Seriöse Zukunftsforscher analysieren aktuelle Daten und versuchen daraus Trends und mögliche Entwicklungen herauszulesen. Sie betonen, wie wichtig es sei, auf das Gegenwärtige genau hinzuschauen.
Jesus wurde auch immer wieder mit Zukunftsfragen konfrontiert. Zu seiner Zeit kursierten Ängste vor Kriegen, Seuchen, Naturkatastrophen und vor dem Weltuntergang. Er hat sich nicht darauf eingelassen. Seine Antwort lautete: Schaut genau hin, dann könnt ihr die Zeichen der Zeit deuten. Interessant ist, wie er diese gedeutet hat. Er sah hinter allem vor allem das Wirken Gottes. Ihm wurde alles zu einem Gleichnis für das Wirken Gottes in der Welt: Seht euch die Vögel an, die Blumen! Sorgt euch nicht ängstlich! Wie sie seid auch ihr bei Gott gut aufgehoben!
Jesus lehrt uns, in allem das Wirken und die Gegenwart Gottes zu erkennen. Das lässt uns in Gelassenheit und mit Zuversicht der Zukunft entgegengehen. Das bedeutet nicht, dass uns deshalb Schweres erspart bleibt. Was immer auf uns zukommt, wir haben Gott als Begleiter.
Jakobs Himmelsleiter
In der Lesung haben wir eine Geschichte von Jakob, dem Stammvater des Volkes Israel gehört. Er musste als junger Mann von daheim wegziehen, weil er seinen Bruder Esau um den Segen des Vaters und um das Erstgeburtsrecht betrogen hatte und dieser ihm nun nach dem Leben trachtete. Allein auf sich gestellt musste er in der freien Natur übernachten. Ein Stein diente ihm als Kopfpolster... In einem Traumbild sah er den Himmel offen und vernahm er die Zusage Gottes, dass er ihn zu einem großen und bedeutenden Volk machen werde. Durch ihn und seine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Jakob hatte in diesem Moment nichts außer Gott. Und das genügte trotz seiner ungewissen Zukunft.
Dank für die Gegenwart Gottes im Vergangenen
Was uns helfen kann, zuversichtlich unserer Zukunft entgegen zu gehen, ist der Blick auf die Vergangenheit und das Wahrnehmen der Gegenwart Gottes in der Welt, in der wir leben. Allzu schnell besetzen wir ungewisse Entwicklungen mit Ängsten. Ängste sind schlechte Ratgeber. Natürlich müssen wir vorsichtig sein, wichtiger jedoch ist die Umsicht. Denn auch in dem, was auf uns zukommt, ist Gott anwesend.
Es lohnt sich, noch einmal auf die Ereignisse des vergangenen Jahres zurück zu blicken und zu fragen, wo und in welcher Weise ist mir Gott begegnet. Es tut uns gut, immer wieder diese schönen Seiten des Lebens zu betrachten und sie dankbar mit Gott in Verbindung zu bringen. Wir neigen dazu, Gott nur in den schönen und angenehmen Erlebnissen zu suchen und die negativen Erfahrungen als Abwesenheit Gottes wahrzunehmen. Es gibt aber auch Menschen, die Schweres durchgemacht haben und dennoch im Laufe der Zeit entdeckt haben, dass ihnen gerade auch in der Krise Gott nahe war und zur Seite gestanden ist.
An der Schwelle zum neuen Jahr lade ich Sie ein, dankbar auf alles Gute des vergangenen Jahres zurückzuschauen und im Gebet alle Ungewissheit der Zukunft in die Hände Gottes zu legen.
Mag. theol. Pater Hans Hütter, 31.12.2017
Mag. theol. Pater Hans Hütter

Salvatorgasse 12, Stiege 2
1010 Wien
E-Mail: hans.huetter@cssr.at
Ein Gespräch zum Jahresende
(Hannelore Jäggle 2016)
Das Gespräch, das Jesus mit einer Samariterin am Jakobsbrunen führt, wird für sie zur Lebenswende. Durch dieses Gespräch findet sie zu einer neuen Lebensquelle. Neue Lebensquellen zu finden, ist auch ein Anliegen des Jahreswechsels.
Rückschau
Zum Jahresende lade ich zu einer Rückschau ein, eine Rückschau, die zugleich neue Perspektiven eröffnet. Diese Rückschau beinhaltet Schlüsselstellen aus dem Gespräch, welches Jesus mit der Samariterin geführt hat. Es sind jene Stellen, die uns alle einladen, auch im kommenden Jahr weiter darüber nachzudenken. Am Schluss der Rückschau erfahren wir vom Beginn einer Lebenswende, einer neuen Zeit im Leben dieser Samariterin.
Vielleicht sind am Beginn der Rückschau zum besseren Verständnis folgende Fragen hilfreich: Welche Gespräche haben auf Grund ihrer zuversichtlichen, hoffnungsvollen Worte ungeahnte Wendung in unserem Leben ausgelöst? Was nehmen wir persönlich von diesen Worten, Gesprächen mit in das „Neue Jahr“? Werden diese uns weiter beschäftigen, bzw. anregen sich mit dem Gespräch auch im kommenden Jahr auseinanderzusetzen, weil sie dem Leben mehr an Fülle und Sinn geben können?
Gespräch am Jakobsbrunnen
Von so einem Gespräch, das zum Nachdenken anregt, erzählt der Evangelist Johannes. Es ist ein sehr langes Gespräch zwischen einem Mann aus Galiläa und einer Frau aus Samarien. Dieses Gespräch ist bis auf den heutigen Tag noch nicht „ausgeredet“. So können und dürfen wir es fortsetzen, denn das, was das Gespräch ins Rollen gebracht hat, betrifft auch unsere heutige Gesellschaft.
Also beginnen wir mit dem, was der Mann aus Galiläa von der Frau aus Samarien mit folgender Bitte fordert: „Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken!“ - Was haben diese Worte bei der Samariterin ausgelöst? Wahrscheinlich, nein sogar sicher, wie wir im Verlauf des Gespräches noch erfahren werden, eine zu tiefste Erschütterung in ihrem Frauenrollenbild aus ihrer Volksgruppe der Samariter! - Wieso das?
Jesu Verhalten, so nehmen wir an, entspricht doch dem von Männern geprägten Rollenbild der Frauen in der damaligen Welt und, salopp festgestellt, oft auch noch heute.
Was ist daran so „aufregend“, dass diese Szene am Brunnen im Evangelium zu den Schlüsselstellen gehört?
Dazu müssen wir noch ein zweites – damals - festgefahrenes Rollenbild bedenken: Es ist jenes zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Religionsgruppierungen, zwischen zwei verschiedenen Regionen in einem Land.
Die Antwort der Frau, etwas aussagekräftiger formuliert als von Johannes, könnte auch so lauten: „Wie, du, ein Jude, verlangst von mir zu trinken, von einer Samariterin?“ In dieser Formulierung kommt das Entsetzen, das Erstaunen der Frau stärker zum Ausdruck. Durch die Frage Jesu wird sie in ihrem Selbstbewusstsein, das ganz und gar darin besteht, eine Samariterin zu sein, aus ihrem Lebenskonzept gebracht.
Aus der Rolle fallen
Dass Jesus durch seine Bitte an diese Frau aus der üblichen Rolle eines Mannes aus dem Judentum fällt, ist in dieser Perikope gewollt. Eigentlich fällt „er“ nicht aus der Rolle, sondern Jesus spielt einfach nicht die Rolle, die die Frau von ihm erwartet hat. Dadurch ist sie verunsichert, verwirrt. Dazu sei bemerkt, dass auch sein Jüngerkreis vom „nicht in eine Rolle gezwängtem Verhalten“ Jesu oft genug verwirrt wurde.
Diese provokante Einleitung zu dem Gespräch am Jakobsbrunnen, bei der Jesus, als männlicher Teil und die Samariterin, als weiblicher Teil, war durch diese alten fixierten Rollenbilder zwischen Mann und Frau und hier konkret noch zwischen Samaritern und Juden möglich. Und: Frauen sind – das ist das gängige Bild über Frauen in der Gesellschaft - entsetzt, werden erschüttert in ihrem Selbstbewusstsein, Männer jedoch fallen gezielt oder spontan „nur“ aus der Rolle. Diese alten Denkstrukturen über Frau und Mann werden geschickt aufgegriffen und in ein Angebot neuen Lebens verwandelt!
Dazu ist ein wesentlicher Schritt der Frau, der Samariterin, als Reaktion auf die Aktion Jesu notwendig. Dieser Schritt wird ihr ermöglicht, weil Jesus ihn selber getan hat: er ist aus der kollektiven Lebensform heraus gefallen.
Der eben erst ungewöhnliche Gesprächsanfang hat eine Fortsetzung: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Mit diesen Worten fällt Jesus buchstäblich mit der Tür ins Lebenshaus der Frau. Dieses Lebenshaus wurde und wird auch heute noch geformt, geprägt und gebildet von dem Rollenverständnis einer Frau in ihrem gesellschaftlichen Zuhause.
Wie kann man sich so verhalten, so eine schroffe, radikale Aussage machen gegenüber einer Frau, die eben in ihrem Selbstbewusstsein erschüttert worden ist? Statt Wasser wird jetzt von der Gabe Gottes gesprochen, die es für die Frau zu erkennen gibt. Hier beginnt eine Umkehrung der Verhältnisse, beginnt der Bruch mit einer Tradition, die meist keinen Raum, keinen Platz der Veränderung, sprich Entwicklung vorsieht.
Diese Stellen sind jedoch nur der Anfang des Gespräches zwischen der Frau und Jesus am Jakobsbrunnen. Der weitere Gesprächsverlauf dauert lange, wir haben es gehört. Die Frage drängt sich auf: Kann sich der Evangelist nicht kürzer fassen und gleich sagen, auf was er hinaus will? Wozu diese langatmige Erzählung, so umständlich, so verwirrend, mit so vielen Unklarheiten?“ - Nein, ein klares Nein! Der Evangelist kann sich – als guter Erzähler – in diesem Fall nicht kürzer fassen und dieses Gespräch muss unbedingt Platz für „Umwege“, für Klarstellungen und Zeit haben. Zeit haben für ein Gespräch, das nachhallt, das Wirkung zeigt, ist noch immer wichtig! Der Prozess der Offenbarung, welche hier ein „Angebot neuen Lebens“ verkündet, ist keine Blitzaktion. Das Gespräch zeigt durch und in seiner Länge auf, dass es nur Schritt für Schritt in der Seele eines Menschen Entwicklung gibt, egal ob Frau oder Mann.
Lebensumschwung
Neue Orientierungspunkte muss in dieser Begegnung die Samariterin setzen: es geht nicht um die Gabe von ihr, sondern von ihm. Das verwirrt sie. In dieser Verwirrung spricht sie das an, was sie zu verstehen meint: das Wasser, das lebendige Wasser, das er ihr geben will. - Aus dem Brunnen da? Nein, geht nicht, der ist zu tief. Dann bleibt nur zu fragen: „Woher hast du also das lebendige Wasser?“
Langsam merken auch wir als Zuhörer/in, dass hier immer nachgefragt wird, dass hier Dinge offen sind, die zum Nachdenken anregen. Diese laden die Frau ein, den nächsten Schritt zu wagen, die eigene religiöse Herkunft, die eigene Quelle ihres Volkes zu hinterfragen: „Bist du etwa größer als unser Vater Jakob?“
Ob die Frau nun alles in Frage stellt, was ihr Leben, ihre Tradition betrifft, bleibt offen, aber dass sie ihr Leben zu hinterfragen anfängt, ist außer Zweifel. Und dies am Ort, dem Jakobsbrunnen, der die Quelle ihres und ihres Volkes Leben ist. Großartig und einmalig, was hier im Evangelium in einem „einfachen“ Gespräch erzählt wird. Langsam, in vielen kleinen Schritten ahnt sie, dass sie jemanden begegnet ist, der ihr neue Lebensquellen erschließen kann, dass er, bildlich gesprochen, einen neuen Brunnen baut, von dem sie und auch ihr Volk, die Samariter, leben können.
Eine neue Lebensquelle
Zu welcher Tageszeit lässt Johannes dieses Gespräch führen? „... denn es war um die 6. Stunde!“
Es war also Mittag. Hören sie die „inneren“ Glocken klingen? 12 Uhr, die Tagesmitte, für die Samariterin ist dies die Lebensmitte, konkret: eine Lebenswende! Im Gespräch hält sie Rückschau auf ihr vergangenes Leben. Doch die Erfahrung der Offenbarung lässt sie nun in die Zukunft blicken. Eine neue Lebensquelle in der eigenen Seele, der Ort der Gottesbegegnung, hat sie durch Jesu Zuwendung erfahren.
Nicht die Tagesmitte wird heute um Mitternacht verkündet, sondern ein neues Jahr. Mögen sich im kommenden Jahr für uns eine Fülle von Quellen des Lebens erschließen, die uns hoffen lassen und uns auf dem Weg in eine friedvolle Zukunft stärken.
Anmerkung:
Die Szene „Die Samariterin und Jesus am Jakobsbrunnen“ ist ein sehr beliebtes Darstellungsmotiv in der Kunst. Eine wunderbare szenische Darstellung ist in der Kunstkammer des KHM in Wien zu sehen: „Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen“, als Andachtsbild, hergestellt im Pietra-dura-Verfahren, Florenz, Ende 16. Jhd., die Bildmitte von Christofano Gaffuri.
Foto: 10. Feber 2016, eigene Fotografie, Werner Stumpner.
Dipl. Päd. Hannelore Jäggle, 31.12.2016
Dipl. Päd. Hannelore Jäggle
Gott ist der Herr über alle Zeiten
(Bruno Hidber 2016)
Der Jahreswechsel beschert uns ein seltsames Gefühl. Die Zeit, die uns zwischen den Fingern zer-rinnt ängstigt uns, konfrontiert uns mit der Vergänglichkeit. Mit der Geburt Christi ist Gott selbst in unsere Zeit hereingekommen und hat damit die Zeit geöffnet für die Ewigkeit. Das gibt Hoffnung und Gelassenheit.
Zeit kommt und vergeht
Einmal mehr sind wir am Ende eines Jahres angelangt. Es liegt immer eine eigentümliche Atmosphäre über solch einem Jahreswechsel. Das hat wohl damit zu tun, dass wir uns intensiver als sonst bewusst werden, dass wiederum eine Spanne Zeit unwiderruflich vergangen ist und dass wir Wünsche und Erwartungen haben an die kommende Zeit. Was aber ist das überhaupt, die Zeit, die da kommt und geht, die wir leben und die uns zwischen den Fingern zerrinnt?
Damit rühren wir an einen heiklen Punkt. Unsere Gesellschaft verdrängt die Frage nach der Zeit weitgehend und das hat unmittelbar damit zu tun, dass unsere Gesellschaft auch den Glauben an Gott und an ein Jenseits immer mehr von sich wegschiebt. Der Philosoph Hans Georg Gadamer hat kurz vor seinem Tod auf diesen heiklen Punkt hingewiesen, indem er sagte: „Die Anerkennung der Transzendenz – die Anerkennung eines Jenseits - ist eine der wichtigsten Herausforderungen für den Menschen“. Aber wie hängen Diesseits und Jenseits, wie hängen Zeit und Ewigkeit zusammen? Das möchte ich jetzt ganz kurz mit Ihnen etwas bedenken.
Die Zeit gleicht einer Sanduhr. Stetig und unwiderruflich rinnt der Sand durch das Glas und wird dabei immer weniger. Stetig und unwiderruflich rinnt die Zeit dahin und wird ebenfalls immer weniger. Zwar erhoffen wir uns immer neue Zukunft. Aber in Wirklichkeit entschwindet sie uns mit jeder Sekunde, die wir leben. Von Sekunde zu Sekunde wird der Zeitvorrat knapper. Und am Ende steht der Tod. So gesehen ist die Zeit letztlich die Statthalterin des Todes.
Die Zeit, Statthalterin des Todes
Und das bestimmt das Leben unserer Jahre mehr als alles andere. Zwar versuchen wir mit allen Mitteln den Tod von uns fern zu halten, und so zu tun, als ob es ihn nicht gäbe. Und doch ist er überall gegenwärtig und macht er seinen Einfluss geltend. Zu Recht hatte der weise Buddha einst gesagt: „Mit der Geburt des Menschen beginnt sein Sterben“. Offensichtlich ist der Mensch das einzige Lebewesen, das weiß, dass er unweigerlich sterben muss. Damit weiß er, dass alles, was er in der Zeit lebt einmalig ist und dass einmal alles zu Ende gehen wird. Und dann? Ist mit dem Tod alles aus? Oder gibt es ein darüber hinaus?
Das ist nicht nur eine Frage nach dem Jenseits, sondern diese Frage entscheidet darüber, wie der Mensch hier im Diesseits lebt. Vor gut hundert Jahren betrug die Lebenserwartung in unserem Land so um die 45 Jahre. Aber in der damals noch vorwiegend christlich geprägten Gesellschaft glaubten die Menschen, dass nach dem Tod die Ewigkeit komme. Sie dachten also, ihr Leben würde in ca. 45 plus unendlich bestehen. Heute konnte die durchschnittliche Lebenserwartung an die 80 Jahre und darüber hinaus hochgeschraubt werden. Die heute vorwiegend säkularisierte und gottlose Gesellschaft in unserem Land denkt, sofern sie konsequent ist, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Sie denkt also, das Leben bestehe in mehr oder weniger 80 plus Null.
Damit wird aber die Zeit wirklich und unerbittlich zur Statthalterin des Todes und zu einer Art von Fluch. Wenn mit dem Tod alles aus ist, steht die Zeit unter dem Vorzeichen der Beraubung. Jede Sekunde beraubt den Menschen um ein Stück seines Lebens. Jeder gegenwärtige Augenblick, der Vergangenheit wird, ist unwiderruflich entschwunden und immer mehr schrumpft das zusammen, was wir Zukunft nennen. Je länger das Leben voranschreitet, desto weniger verheißt es. „Zu wenig“: damit kann ein Grundgefühl unserer Zeit und Gesellschaft benannt werden. Wo es nur die Zeit gibt von der Geburt bis zum Tod und dann nichts mehr, dort wird der Mensch dauernd von der Angst umgetrieben, er könne das Wichtigste und Beste verpassen, weil ja alles zerrinnt, weil alles weniger und immer weniger wird.
Die Zeit läuft davon
Die so davonlaufende Zeit muss dann durch Intensität und Leidenschaft und Tempo wettgemacht werden. Ich muss möglichst schnell möglichst alles haben, alles genießen, alles verbrauchen. So könnte ein weiteres Grundgefühl unserer Zeit benannt werden. Und deshalb muss alles schnell und schneller gehen. Wer aber möglichst schnell möglichst alles haben und verleben will, liefert sich nicht nur der Hetze und der Oberflächlichkeit aus. Er muss auch feststellen, dass er hinter etwas daherrennt, das er nie einholen kann. Es gäbe immer noch mehr zu erleben, noch mehr zu geniessen, noch mehr zu erwerben. Aber die Zeit läuft davon. Die Angst, immer „zu wenig“ zu haben, „zu wenig“ zu leben, ist nicht abzuschütteln. Der Mensch ist zum „zu wenig“ verurteilt, wenn es kein Jenseits gibt, wenn mit dem Tod alles aus ist.
Von diesem „zu wenig“ kann nur die Hoffnung befreien, mit dem Tod sei eben nicht alles aus, sondern es gebe ein Jenseits, es gebe über diese Welt und diese Zeit hinaus etwas Anderes, Neues, Erfüllendes. Nur diese Hoffnung, die im christlichen Glauben grundgelegt ist, kann von der Angst befreien, wir würden in allem, was wir in der Zeit leben, zu kurz kommen. Die Hoffnung des Glaubens ermöglicht einen gelassenen Umgang mit der Zeit und mit den Jahren des Lebens. Sie eröffnet die Perspektive, dass nicht entscheidend ist, wie lange, sondern wie gut und wie erfüllt ich lebe. Der Glaube gründet sich auf die Zuversicht, dass in allem, was geschieht, auch trotz allem, was ich verfehlt und versäumt habe, jemand da ist, der Ja zu mir sagt und das nicht nur für eine begrenzte Zeit, sondern für alle Ewigkeit – und dieser Jemand ist Gott.
Der Herr über alle Zeiten
Wir glauben, dass Gott die Zeit in seinen Händen hält und uns über alle Zeit hinaus wirklich Ewigkeit schenken will. Dieser Glaube ist nicht blind. Sondern er stützt sich auf das, was Gott uns in Jesus Christus gezeigt und geschenkt hat. Mit Jesus ist Gott selber, ist sozusagen die Kraft seiner Ewigkeit in die Zeit hinein gekommen. Mit Jesus hat Gott selber die Zeit angenommen in allem, was sie im Leben und im Tod mit sich bringt. Mit Jesus hat Gott die Zeit wirklich geöffnet auf Ewigkeit hin. Genau das haben wir an Weihnachten gefeiert.
Weil wir so darauf vertrauen dürfen, dass Gott die Zeit bestimmt und uns Menschen über die Zeit dieser Welt hinaus Leben in Fülle zusagt, darum müssen wir uns nicht ängstigen lassen vom Vergehen der Zeit, sondern wir dürfen voll Hoffnung und Zuversicht ins neue Jahr 2017 hineingehen, weil wir wissen: durch alle Jahre hindurch gehen wir dem entgegen, der Herr ist über alle Zeiten und der uns letztlich zu dem führen wird, was wir ewiges Leben nennen.
Dr. theol. Bruno Hidber, 31.12.2016
Dr. theol. Bruno Hidber

Weiterleben mit der Weisheit unserer Erfahrung
(Bernd Kösling 2015)
Wie kann der Übergang in ein neues Jahr gut gelingen? Wenn wir mit der Weisheit der Erfahrungen, die wir gemacht haben, unsere Zukunft gestalten. Dabei können uns die Erfahrungen biblischer Autoren ebenso nützlich sein wie unsere persönlichen Erfahrungen.
Nicht Ende oder Anfang sondern Übergang
Selten wird uns das Phänomen der Zeit so bewusst, wie am Jahreswechsel. Noch wenige Stunden, dann ist das Jahr 2015 zu Ende gegangen und wir werden ab Mitternacht „2016“ sagen. Und mit dem Neuen Jahr verbinden sich neue Hoffnungen und Wünsche, Ängste und Sorgen. Hal Borland (1900 - 1976), ein amerikanischer Schriftsteller, hat folgenden Satz geprägt: „Das Jahresende ist kein Ende und kein Anfang, sondern ein Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung gelehrt hat.“
Ich lade Sie ein, ein wenig der „Weisheit“ und den „Erfahrungen“ nachzuspüren, die uns das Jahr 2015 gelehrt hat. Dabei geht unser Blick sicher zunächst in unser persönliches Leben hinein: wir schauen zurück auf viele schöne Erlebnisse, auf manches Traurige, vielleicht auch auf einen schweren Schicksalsschlag, der einen getroffen hat. Und wir alle hoffen und wünschen uns, dass 2016 ein gesundes, friedliches und glückliches Neues Jahr wird.
(Bitte bei Bedarf einfügen: Wir blicken auch zurück auf besondere Ereignisse im Leben unserer Gemeinde...)
Gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen
Im Jahr 2015 standen wir aber auch vor großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen: was wird aus dem europäischen Projekt, angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen und dem zunehmenden nationalistischem Denken in den einzelnen Mitgliedsstaaten? Wie reagieren wir angemessen auf den internationalen Terror? In welchem Land wollen wir leben? Was sind eigentlich diese berühmten „Werte“, an denen sich alle anderen orientieren sollen? Wir erleben das Suchen der politischen Eliten und die unvorstellbar großherzige Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Wollen wir dann wirklich zugleich in einem Land leben, in dem Migranten und Flüchtlinge offen angegriffen werden?
Der Johannesbrief erinnert uns in seiner heutigen Lesung daran, dass wir es wissen: „Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist“! (Joh 2,20). Durch diese Salbung haben wir Anteil an der Sendung Christi, den der Herr selbst gesalbt hat, wie es in der programmatischen Predigt Jesu am Beginn seiner Sendung heißt: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Lk 4, 18 ff.).
Wie kann unsere besondere „Sendung“ in 2016 angesichts der großen Herausforderungen aussehen? Natürlich können und dürfen wir die Texte der Hl. Schrift, die in anderen historischen und kulturellen Kontexten entstanden sind, nicht 1 zu 1 in die Gegenwart übersetzen. Aber sie bezeugen uns normative Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Diese Erfahrungen können uns sicher auch heute helfen.
Leben mit den Erfahrungen der biblischen Autoren
Die säkulare Welt spricht von der unveräußerlichen „Würde“ des Menschen. Für uns Christen gründet diese „Würde“ darin, dass der Mensch als „Abbild Gottes“ geschaffen wurde und dass er dieses Abbild als Mann und Frau geschaffen hat. Diese Würde geben wir uns nicht selbst und können sie auch niemals verlieren. Hier besteht unsere Sendung darin, jedem einzelnen Migranten und Flüchtling mit Respekt und Liebe zu begegnen und ihn auch so zu behandeln.
Christus hat uns das Gebot der Nächstenliebe gelehrt. Der Apostel Paulus konkretisiert dieses Gebot so: „Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht für uns selbst leben.“ (Röm 15,1) Dies gilt für das Leben innerhalb einer christlichen Gemeinde genauso wie für die Menschen, die aufgrund von Armut, Hunger oder Krieg ihre Heimat verlassen. Und genauso für ein vereintes Europa, indem natürlich die Starken nicht nur für sich selber leben dürfen, sondern auch die Schwäche derer tragen, die schwach sind.
Wie oft ermahnt uns Christus zur Gewaltlosigkeit, ja sogar zur Liebe gegenüber unseren Feinden. Das ist keine Schwäche, sondern Stärke, weil wir so dem Gegner den „Wind aus den Segeln nehmen“! Wenn ich mir die Kriege anschaue, die der Westen - mit oder ohne deutscher Beteiligung - in den letzten Jahren geführt hat bzw. noch führt - ist es durch Gewalt wirklich besser geworden? Ich frage mich, ob unsere Sendung auch darin bestehen kann, darauf immer wieder hinzuweisen und sich - auch angesichts von Anschlägen und Toten - für Frieden einzusetzen?
Weiterleben mit der „Weisheit“, die uns die Erfahrung gelehrt hat. So rät es Hal Borland zum Jahreswechsel. Wir haben einige dieser Erfahrungen, die die Autoren der Bibel uns weitergegeben haben bedacht. Zu diesen Erfahrungen gehört auch die Gewissheit, dass Gott uns in unserem persönlichen Leben nahe ist und es gut mit uns meint. Alle Erzählungen der Evangelien berichten davon, wie Christus Menschen neues Leben ermöglicht und ihnen neue Lebensqualität schenkt. Sie berichten auch davon, dass seine Liebe besonders denen gilt, die zu kurz kommen und am Rande stehen. Auf diese Liebe und Nähe Gottes will ich auch in 2016 vertrauen.
So lassen Sie uns heute das alte Jahr miteinander abschließen. Freuen wir uns auf das Neue Jahr 2016. Möge es ein gutes, friedliches und gesundes Jahr für uns alle werden. „Das Jahresende ist kein Ende und kein Anfang, sondern ein Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung gelehrt hat.“
Dechant Bernd Kösling, 31.12.2015
"Nun lasst uns gehen und treten..."
(Manfred Wussow 2014)
Ein Jahr geht …
Heute schließen wir das Jahr 2014 ab. Was wir nicht geschafft haben, müssen wir mitnehmen. Heute reißen wir nichts mehr. Im Rückblick aber danken wir für viele Tage, die uns geschenkt wurden. Wir danken auch für die Tage, die uns entglitten sind. Uns gehört die Zeit nicht - sie ist in Gottes Hand. Bei ihm ist auch unser Leben geborgen.
Paul Gerhardt, 1607 geboren, hat 1653 ein Lied zum Jahreswechsel geschrieben:
Nun laßt uns gehn und treten
Mit Singen und mit Beten
Zum Herrn, der unserm Leben
Bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehn dahin und wandern
Von einem Jahr zum andern,
Wir leben und gedeihen
Vom alten zu dem neuen.
Die schreckliche Zeit des Dreißigjährigen Krieges war gerade zu Ende gegangen, 1648. Überall waren die Verwüstungen zu sehen. So manches Dorf war leer - ausgestorben. In den Erzählungen der Leute spiegelten sich traumatische Erfahrungen. Paul Gerhardt, damals Pfarrer in Mittenwalde, schenkt den Menschen Worte für den Jahreswechsel - und für den Neuanfang.
Durch so viel Angst und Plagen,
Durch Zittern und durch Zagen,
Durch Krieg und große Schrecken,
Die alle Welt bedecken.
... gehen wir zum Herrn.
Mit einem Gleichklang, der die Seelen zur Ruhe kommen lässt, schenkt uns Paul Gerhardt Zuversicht und Hoffnung. Es ist, als ob wir mit dem Lied schreiten können - Schritt für Schritt. In ein neues Jahr, auch in einen neuen Anfang. Schreiten ist nicht schnell, kein Rennen, kein Wettlauf. Auch kein Wettlauf mit der Zeit. Wir gehen aber auch nicht geschlagen durch den Schrecken hindurch. Nicht kleingemacht. Nicht mit hängendem Kopf. Aufrecht gehen wir zum Herrn. Er hat uns bis hierher Kraft gegeben. Dieser eine Satz reicht. Es gibt keine Vorwürfe, keine Klage. Paul Gerhardt beschreibt, erzählt - er hat viel gehört. Viel gesehen.
2014
Schauen wir auf unser Jahr zurück, 2014, sehen wir in vielen Regionen der Welt Krieg, Terror, Flucht. Die Folgen begegnen uns auch, obwohl wir - gefühlt - weit weg sind. Menschen kommen zu uns und suchen einen Unterschlupf. Viele von ihnen sind minderjährig. Was sie in ihrem jungen Leben schon erlebt, erlitten haben? Verstehen wir sie? Hören wir ihnen zu? Andererseits formiert sich bei uns Widerstand. Zum Teil diffus, zum Teil aber voller Angst. Die starken Worte, die fallen (und viel zu laut geschrieen werden), verbergen nur schlecht die Schwäche, die sich hinter ihnen versteckt - sie verletzen aber. Viele Muslime, die seit Langem bei uns zu Hause und auch an unserer Wirtschaftsleistung beteiligt sind, sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert, die sie nicht entkräften können.
Viele unter uns haben auch Schicksalsschläge abbekommen - wie man, wie frau so sagt. Eine Krankheit, einen Unfall. Auf manchem Kreuz, manchem Grabstein steht 2014 als Todesjahr. Im letzten Jahr waren wir noch zusammen. Wir haben auf ein gutes, neues Jahr angestoßen. Jeder, jede von uns macht einen eigenen Jahresrückblick. Mit Fotos und Erinnerungen, mit Schweigen und Sorge.
Mit den Worten Paul Gerhardts:
Nun laßt uns gehn und treten
Mit Singen und mit Beten
Zum Herrn, der unserm Leben
Bis hierher Kraft gegeben.
Ein Jahr kommt ...
Als Christen legen wir das Jahr in Gottes Hand zurück. Von ihm haben wir die vielen Tage anvertraut bekommen. Im Internet können wir jeden Tag noch einmal nachgehen. Im Fernsehen gibt es Jahresrückblicke - interessant, wie unterschiedlich sie sein können. Es ist, als ob es d a s Jahr 2014 nicht gegeben hat. Wie unterschiedlich haben wir selbst die Ereignisse der vielen Tage erlebt, wahrgenommen, bewertet? Was ist uns zu Herzen gegangen? Was haben wir einfach abgehakt? Selbst von dem großen Leid, das viele Menschen getroffen hat.
Wir könnten ein Spiel daraus machen. Wissen Sie noch, was am 22. September war? Am 5. April? - Sie können auch in Ihren alten Kalender schauen. So viel Vergangenheit - und noch so viel Gegenwart. Glauben wir den Meinungsumfragen, gehen wir alle mehr oder weniger zuversichtlich in das neue Jahr. Unsere Kalender für 2015 sind schon gut gefüllt. Wissen Sie schon, wann Sie Urlaub haben? Wann das Baby kommt? Wann Sie in Rente gehen?
Neujahrswünsche
Paul Gerhardt hat für das neue Jahr nicht nur gute Wünsche formuliert. Er sieht unser Leben geborgen und gehalten - von Gott:
Denn wie von treuen Müttern
In schweren Ungewittern
Die Kindlein hier auf Erden
Mit Fleiß bewahret werden:
Also auch und nicht minder
Lässt Gott sich seine Kinder,
Wenn Not und Trübsal blitzen,
In seinem Schosse sitzen.
Das ist ein schönes Bild! Die Barmherzigkeit hat in der hebräischen Bibel immer den Mutterschoß vor Augen. Wird gesagt, Gott sei barmherzig, sehen wir ihn in seiner mütterlichen Art - er ist uns auch Mutter (nicht nur Vater). "In seinem Schoße sitzen" wird zum Inbegriff von Glück - auch im Unglück. Inbegriff von Trost - auch wenn uns die Welt entgleitet. Inbegriff von Hoffnung - auch wenn wir schuldig werden. Paul Gerhardt lässt sein Lied zum Gebet werden, zur Bitte:
Ach Hüter unsers Lebens,
Fürwahr, es ist vergebens
Mit unserm Tun und Machen,
Wo nicht dein' Augen wachen.
Gelobt sei Deine Treue,
die alle Morgen neue,
Lob sei den starken Händen,
die alles Herzleid wenden!
Nun lasst uns gehen...
Paul Gerhardt, Zeuge harter Zeit, auch in seinem privaten Leben arg gebeutelt, in viele Konflikte verwickelt, schenkt uns in seinem Neujahreslied einen großen und unbeugsamen Mut. Nicht nur für uns - auch für andere. Auch für die, die keine Treue und Verlässlichkeit in ihrem Leben erfahren, die vor jedem Tag Angst haben, die mit ihrem Herzleid alleine bleiben.
7 Strophen des Liedes geleiten uns unaufgeregt und liebevoll in das neue Jahr. 15 Strophen aber hat das Lied. Die anderen 8 Strophen sind Fürbitten. Wir wollen sie gleich miteinander singen. Und unsere Tage und Wege Gott anvertrauen.
Nun lasst uns gehen und treten
Mit Singen und mit Beten …
zum Herrn, der unserm Leben
Für morgen Kraft gegeben.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Manfred Wussow, 31.01.2014
Manfred Wussow
Wer hat, dem wird noch gegeben werden...
(Hans Hütter 2013)
Rechenschaft ablegen
Am Ende des zurückliegenden Jahres geht es uns ähnlich wie den Dienern, von denen das Matthäusevangelium (Mt 25,14-30) erzählt. Sie mussten ihrem Herren Rechenschaft ablegen, was sie mit dem ihnen anvertrauten Vermögen gemacht haben. Zwei von ihnen konnten das ihnen anvertraute Gut verdoppeln, einer ließ es aus Angst vor der Strenge seines Herrn ungenutzt und versteckte es...
Jeder von uns hat vor einem Jahr 365 Talente bekommen. Jedes hatte 24 Stunden. Zeit kann man zwar nicht verdoppeln, wir sagen aber: Zeit ist Geld, und man kann mehr oder weniger daraus machen.
Einigen von uns wird es gelungen sein, die zur Verfügung gestandene Zeit auch wirtschaftlich erfolgreich zu nutzen, andere mussten vielleicht mit der zur Verfügung stehenden Zeit wuchern, um irgendwie über die Runden zu kommen. Wieder andere hätten gerne mehr daraus gemacht, hatten aber keine Gelegenheit dazu. Vielleicht weil sie keine geeignete Arbeitsmöglichkeit hatten oder weil sie durch Krankheit oder durch einen Schicksalsschlag daran gehindert worden sind.
Erfüllte Zeit
Dabei ging es nicht darum, die Zeit mit Arbeit auszufüllen oder Erfolg zu haben. Manch einer kann sagen: Ich habe genug gearbeitet in meinem Leben, ich habe mir den Ruhestand verdient. Entscheidend ist wohl, dass es gelungen ist, die gegebene Zeit mit Sinn zu erfüllen. Das kann auch Zeit sein, die wir mit anderen verbracht haben; Zeit, die wir anderen geschenkt haben; oder Zeit, in der wir uns weitergebildet oder die wir für unsere Gesundheit eingesetzt haben.
Rechenschaft ablegen heißt in dieser Stunde, Gott für die erfüllte Zeit des vergangenen Jahres zu danken:
- zu danken für alles was uns und den Mitmenschen gut getan hat;
- zu danken für alles, was uns gelungen ist;
- für alles, was uns unverhofft zugefallen ist;
- für alles, was wir in diesem Jahr dazugelernt haben;
- für alle Erfahrungen, die wir gesammelt haben.
Bitte um Vergebung
Vermutlich ist nicht immer alles glatt von der Hand gegangen. Für manches haben wir uns über Gebühr abmühen müssen. Manches haben wir erst auf Umwegen oder nach langem Warten erreicht. Und für Ereignisse, die einem viel Zeit und Kraft gekostet haben, kann manch einer gar nicht danken, weil er sie als Zumutung Gottes erlebt hat, die er oder sie nur schwer annehmen konnte.
Die Rechenschaft über die Zeit konfrontiert uns aber auch mit Gelegenheiten, die wir versäumt haben. Vielleicht waren wir manchmal so kleinmütig, wie der dritte Diener, der sein Talent vergraben hat, weil er sich nicht zugetraut hat, daraus etwas zu machen. Wir haben die eine oder andere Gelegenheit zu einem klärenden Gespräch verstreichen lassen oder wir waren nicht bereit, jemand beizustehen, zu trösten, zu vergeben.
Die Jahresbilanz gibt uns Gelegenheit, unseren Herrn um Vergebung zu bitten und einander um Vergebung zu bitten, wo wir einander etwas schuldig geblieben sind.
Das Evangelium von den anvertrauten Talenten zielt jedoch über das Erinnern an die Rechenschaft, die wir ablegen müssen, hinaus. Denn oft sind wir uns gar nicht bewusst, was uns alles anvertraut worden ist.
Das Evangelium als uns gegebenes Talent
Ein Wichtiges Ereignis des vergangenen Jahres war der Amtsverzicht Papst Benedict XVI. Er hat der Kirche und der Welt ein bedeutendes Zeichen gesetzt, indem er sein Amt in die Hände dessen zurückgelegt hat, der die Kirche eigentlich lenkt. Sein Nachfolger Franziskus hat in den wenigen Monaten, die er dieses Amt innehat, bereits richtungweisende Impulse gegeben. Er mahnt die Kirche, ihren missionarischen Auftrag nicht zu vergessen. In seinem ersten Rundschreiben »Evangelii Gaudium« - wörtlich übersetzt: »Die Freude des Evangeliums« - führt er aus, wie er die missionarische Ausrichtung der Kirche versteht. Es geht ihm um ein Wachsen und ein sich Erneuern am Evangelium. Ein wichtiger ist für ihn dabei Aspekt das persönliche Wachsen im Glauben. In eindringlicher Weise fordert er die Kirche, jeden einzelnen Getauften und die Weltöffentlichkeit auf, zu überprüfen, wie weit das, was wir tun, dem Evangelium Jesu Christi entspricht.
Für jeden einzelnen von uns stellt sich die Frage: Wie habe ich das Geschenk der Frohen Botschaft genützt? War es mir Quelle der Freude? Bin ich durch das Betrachten des Evangeliums im Glauben gewachsen? Oder muss ich bekennen: Ich habe dieses Talent vergraben, weil ich mich überfordert gefühlt oder weil ich es verkannt und gering geschätzt habe?
Das Evangelium von den Talenten endet mit einem sehr ernsten Bild: "Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen." (Mt 25,29 f.). Dieses schwierige Jesuswort wird erst verständlich, wenn man für das Haben den Glauben einsetzt. Wer Glauben hat und mit ihm arbeitet, wird noch mehr davon bekommen. Wer mit dieser Gabe Gottes sorgsam umgeht, der verdoppelt sie und wird an der Freude des Herrn teilhaben. Wer dieses Geschenk jedoch verkommen lässt, wird Finsternis, Verzagtheit und Verbitterung erfahren. Wir bestrafen uns selbst, wenn wir diese kostbare Gabe Gottes nicht nutzen.
Das Schöne am Jahreswechsel ist, dass wir gleichzeitig ein neues Jahr beginnen. 365 Tage liegen vor uns, werden uns anvertraut. Machen wir etwas daraus und wir werden teilhaben an der Freude unseres Herrn.
Mag. theol. Pater Hans Hütter, 31.12.2013
Die Freiheit zu entscheiden
(Bruno Hidber 2011)
Entscheidungen
Am Ende eines Jahres geht uns manche Frage durch den Kopf und auch durchs Herz. Ich möchte Sie einladen, sich kurz folgender Frage zu stellen: welches waren die wichtigsten Entscheidungen, vor die ich mich im vergangen Jahr gestellt sah? Wie bin ich damit umgegangen? Was war da gelungen, was misslungen? Was habe ich diesbezüglich versäumt? Es lohnt, sich am Ende eines Jahres solchen Fragen zu stellen, denn in ihnen widerspiegelt sich das Leben, das wir im vergangenen Jahr geführt haben und wie wir es geführt haben.
Es ist so, weil wir mit unseren Entscheidungen ganz konkret zum Ausdruck bringen, wie wir denken und fühlen, welches unsere Grundeinstellungen sind und welche Ziele wir verfolgen. An unseren Entscheidungen können wir ablesen, wie wir mit unserer Freiheit umgehen, wie wir ihr Gestalt geben. Die Freiheit gehört aber zum Kostbarsten, das wir besitzen. Sie macht unser Menschsein aus. Lassen Sie mich deshalb den Zusammenhang zwischen Freiheit und Entscheidung etwas verdeutlichen.
Freiheit
Entscheidung gehört ganz wesentlich zur Freiheit. Ohne Entscheidung bleibt Freiheit wie in der Luft hängen. Sie kann dann nicht Fuss fassen, nicht konkret werden. Wer sich nicht entscheiden kann ist wie der sprichwörtliche Esel, der zwischen zwei Heuhaufen verhungert. Ich denke, jede und jeder von uns war schon solch ein "Esel". Immer wieder mal geraten wir in eine Situation, wo wir gerne etwas möchten und uns doch nicht so recht trauen, wo wir hin und her gerissen sind zwischen: soll ich, oder soll ich nicht? Eine Entscheidung fällen, ist längst nicht immer einfach. Sich für, oder gegen etwas entscheiden, bedeutet nämlich immer: sich festlegen, Farbe bekennen, sich einengen.
Ja, jede Entscheidung bedeutet Einengung. In dem Moment, wo ich mich für jemanden, oder etwas entscheide, schliesse ich damit alle anderen Möglichkeiten aus, die mir die Freiheit vor dieser Entscheidung auch angeboten hatte. Das erzählt sehr schön eine Parabel aus dem Orient, die Geschichte von der tausend und elften Nacht. In dieser Geschichte wird ein Mensch in einen grossen runden Raum versetzt. In der Mitte dieses Raumes steht ein bequemes Bett. Darauf ruht dieser Mensch. Aber die Ruhe dauert nicht lange. Sie weicht Unzufriedenheit, denn der Mensch empfindet Langeweile in diesem eintönigen Raum. Freiheit will eben immer wieder Neues, sie will Abwechslung und Entdeckung. So überlegt der Mensch auf seinem Ruhebett, wie er aus diesem Raum heraus kommt.
Das scheint ganz einfach zu sein. Denn die runde Wand, die den Raum abgrenzt, ist voll von Türen. Hunderte von Türen sind da. Hunderte von Möglichkeiten sind der Freiheit angeboten, aus dieser Situation heraus zu kommen. Aber gerade das, was so einfach erscheint, macht alles unheimlich kompliziert.
Wagnis
Zunächst einmal weiß der Mensch nicht, was hinter jeder Türe steckt. Hinter welcher Tür öffnet sich ein wunderschöner Garten; hinter welcher lauert vielleicht ein wildes Tier? Mit solchen Bildern will die Geschichte sagen, dass jede Freiheitsentscheidung immer auch ein Stück Wagnis bedeutet. Ich kann nicht von vornherein alle Konsequenzen überblicken, die eine Entscheidung mit sich bringt.
Weiter weiß der Mensch, der mitten in diesem Raum auf dem Ruhebett gelagert ist, dass alle Türen offen sind. Er weiß aber auch: in dem Moment, wo er eine Tür öffnet und durch sie hindurch schreitet, verschließen sich alle anderen Türen. Die Parabel berichtet, dass der Mensch über Tage und Jahre hindurch ruhelos an der Wand mit den hunderten von Türen entlang geht. Und er schreckt immer wieder davor zurück, eine zu öffnen aus Angst, dass damit eben alle anderen verschlossen sein werden. Mit der Zeit wird dieser Mensch älter und die Türen in der Wand weniger, immer weniger. Im Augenblick, wo er stirbt, wird auch die letzte Tür verschwunden sein.
Ein einprägsames Sinnbild für das Wechselspiel von Freiheit und Entscheidung.
Der Mensch muss Entscheidungen fällen. Anders kann er Freiheit nicht verwirklichen.
Je länger er notwendige Entscheidungen hinausschiebt, desto mehr verkümmern die Möglichkeiten, die ihm die Freiheit anbietet, denn die Zeit des Menschen ist begrenzt. Aber jede Entscheidung bedeutet eine Wahl, welche die anderen Möglichkeiten ausschließt. Jede Entscheidung bedeutet auch Risiko. Ich kann nicht alles vorausberechnen. Ich weiss nicht, was alles sich hinter der Tür verbirgt, die aufzustoßen ich mich entscheide.
Offene Türen
Diese Parabel ist gleichzeitig ein Sinnbild für die Situation, in der wir heute, am Übergang von einem Jahr ins Andere stehen. Zurückblickend können wir fragen: wie viele Türen habe ich im vergangenen Jahr geöffnet? Durch was für Türen bin ich hindurch gegangen? Vor welchen Türen bin ich zurückgeschreckt? Habe ich Türen zugeschlagen, die Andere mir öffnen wollten? Was für Türen sind weniger geworden?
Wenn wir voraus blicken ins Neue Jahr, dann ist es, als ob wieder viele Türen offen stehen würden. Doch was verbirgt sich dahinter? Welche Gefahren, welche Herausforderungen stecken hinter so einer Tür? Das Neue Jahr bietet gleichsam wieder einen offenen Horizont für unsere Freiheit. Das Neue Jahr wird uns auch wieder, und manchmal unerbittlich, vor Entscheidungen stellen mit ihrem Risiko und mit der Qual der Wahl.
Vom Glauben spricht die Parabel aus dem Orient nicht. Und doch liegt es geradezu auf der Hand, wie entscheidend der Glaube für diese Beziehung zwischen Freiheit und Entscheidung ist. Was gibt mir denn die Zuversicht, letztlich die Gewissheit, dass es sich lohnt, das Wagnis der Entscheidung immer neu einzugehen, nicht zurückzuschrecken vor den Risiken, sich nicht lähmen zu lassen und damit immer mehr Türen zu verlieren? Die Zuversicht, notwendige Entscheidungen mit Vertrauen anzugehen ist im Glauben begründet, dass letztlich alles gut ist und Sinn hat, dass also auch das kommende Jahr mir Gutes anbietet und Sinn bringt. Deshalb und nur deshalb lohnt es sich ja auch, sich immer wieder für das zu entscheiden, was wir als gut erkennen, was Sinn stiftet, was Leben fördert. Und letztlich kann ich mich auch nur für jemanden, für Liebe entscheiden, weil ich daran glaube, dass meine Entscheidung beim Anderen Widerhall, Zustimmung finden kann.
"Ich bin die Tür"
Genau dieses Fundament bietet uns der christliche Glaube. Er sagt uns: Gott hat sich für den Menschen, für jeden Menschen entschieden. Und seine Entscheidung ist unumstößlich. Weil er daran durch alles hindurch festhält, ist er sogar das Risiko eingegangen, in seinem Sohn Jesus selber Mensch zu werden. Das haben wir an Weihnachten wieder freudig gefeiert. Bis zu welcher Konsequenz dieses Risiko Gott geführt hat, das zeigt uns das Kreuz. Mit dem Kreuz und der Auferstehung sagt Gott uns zu: meine Entscheidung für euch Menschen gilt durch alles hindurch und sichert euch zu, dass letztlich alles gut sein wird. Jesus hat das im Johannesevangelium einmal mit einem Bild ausgedrückt, das zu unserer Parabel zurückführt. Er sagt: "Ich bin die Tür. Wenn jemand durch mich hineingeht, wird er gerettet werden" (Joh 10,9). Entscheiden wir uns, durch diese Tür ins Neue Jahr hinein zu gehen. Dann ist das Fundament gelegt, auf dem wir zuversichtlich alle weiteren Entscheidungen angehen dürfen, die das Neue Jahr mit sich bringt.
Dr. theol. Bruno Hidber, 31.12.2011
Führe uns in der Krise
(Hans Hütter 2011)
Wörter des Jahres 2011
"Euro-Rettungsschirm" wurde in Österreich von einer Fachjury an der Universität Graz zum Wort des Jahres 2011 gewählt. "Stresstest" schaffte es in Deutschland auf Platz 1, "Euro-Rabatt" in der Schweiz.
Alle Begriffe spiegeln die Sorgen des Jahres 2011 wider und fassen die Ängste vieler Menschen an der Schwelle in ein neues Kalenderjahr zusammen. Eine Krise jagt die andere. Aus einer Bankenkrise ist eine Währungskrise und schließlich eine Wirtschaftskrise geworden. Die Krisen im wirtschaftlichen Bereich decken das darunter liegende politische Krisenpotential in allen europäischen Ländern auf.
Allgegenwärtige Krisen
Der Blick auf die Kirche ist nicht weniger krisenschwanger. Der renommierte Redakteur der FAZ Dr. Daniel Deckers sprach vor wenigen Wochen in einem Vortrag im Kardinal König Haus in Wien von einer dreifachen Krise, mit der die Katholische Kirche gegenwärtig konfrontiert sei. Neben dem Umbruch im Bereich der kirchlichen Strukturen sieht er eine tiefgreifende Krise des Glaubens und der Religionen in der gegenwärtigen Gesellschaft.
Krisen sind gefährlich, weil sie rasche Entscheidungen verlangen, die auch falsch ausfallen können. Krisen können aber auch eine Chance sein, etwas in Ordnung zu bringen, was sich in eine falsche Richtung entwickelt hat. Wer Krisen bewältigen will, muss umsichtig sein, braucht einen klaren Blick, Entschlossenheit und darf sich nicht zu einer kurzsichtigen Scheinlösung verführen lassen.
"Führe uns nicht in Versuchung..."
"Führe uns nicht in Versuchung" beten wir im Vater unser. Wenn wir jedoch schon mitten in der Versuchung stehen, beten wir wohl besser um die Führung durch den Geist Gottes in der Versuchung.
An der Schwelle zu einem neuen Jahr ist dies wohl auch die angemessene Bitte, die wir in den vielfältigen und vielschichtigen Krisen an Gott richten können: Führe uns aus der Krise, bzw. führe uns in der Krise! Lass uns klaren Kopf bewahren und schütz uns vor unseren eigenen Egoismen!
Werte und Ziele
Die Chance, die eine Krise mit sich bringt, liegt in der Notwendigkeit, über die Entscheidungsgrundlagen nachdenken und diese klarer formulieren zu müssen. Welche Ziele verfolgen wir mit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik? Wie gerecht werden die Erträge verteilt, wie viel muss davon zurückgehalten werden, damit die Wirtschaftskraft nicht schwindet? In welche Richtung wollen wir in Zukunft gehen? Gehen wir den Weg gemeinsam oder geht ihn jeder für sich? Welches Ziel, welche Aufgabe, welche Sendung haben wir als Kirche vor Augen?
Und wenn die Ansichten darüber auseinander gehen, haben wir entsprechenden Diskussionsbedarf hinsichtlich der gemeinsamen Werte und Ziele.
Diese Überlegungen führen mich zu den ersten Vater-unser-Bitten: "Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe...". Im Gebet Jesu stehen sie an erster Stelle. Angesichts dieser ersten Bitten erledigen sich manche Meinungsverschiedeneheiten von selbst und manche müssen noch gründlicher überlegt werden.
Bitten wir Gott, dass er uns in all diesen Herausforderungen – kirchlich wie gesellschaftlich – auch im kommenden Jahr führe und dass er uns die Kraft gebe, über unseren eigenen Schatten der Rechthaberei und der Einzelinteressen zu springen.
Mag. theol. Pater Hans Hütter, 31.12.2011
Altes Jahr - neues Jahr
(Manfred Wussow 2010)
Altes Jahr
War es ein schönes, gutes Jahr - das Jahr 2010? Eindeutig werden die Antworten nicht ausfallen, aber bunt, gar widersprüchlich. Das Jahr 2010 verhallt vielstimmig. Dabei aber auch so schweigsam, wie es gekommen ist. Wissen Sie noch, wie es vor einem Jahr war?
Da hofften Menschen, eine Krankheit zu besiegen, stark zu sein, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie gingen wohlgemut in das neue Jahr. Schon im Frühling, als die Natur aufblühte, waren wir zur Beerdigung eingeladen. Wir gingen einen letzten Weg mit. Es ist uns heute, als wäre es gestern. Die Lücke tut immer noch weh.
Da erwarteten zwei junge Menschen Nachwuchs. Er streichelt den Bauch seiner Frau. Das Kleine bewegt sich. Sie kann es kaum noch erwarten. Jetzt schaut das kleine Mädchen schon mit großen Augen in die Welt - ein halbes Jahr. Es ist jetzt nichts mehr wie vorher. Großes Glück!
Da haben Politiker über den Krieg in Afghanistan geredet. Die Einsicht, dass "wir" ihn nicht gewinnen können, zumindest nicht mit den Mitteln, die wir einsetzen, trauen sie den Menschen aber nicht zu. Sie reden zum wievielten Mal um den heißen Brei herum. Noch mehr Geld, noch mehr Leute werden gefordert. Aber es sieht nicht so aus, als ob sie ihren eigenen Betörungen Glauben schenken. Wir nehmen eine Sackgasse wahr, dürfen aber keine Angst zeigen.
Wissen Sie noch, wie es vor einem Jahr war?
Wir könnten heute Abend auch einen Jahresrückblick versuchen. Aber die spektakulärsten Zwischenfälle, Affären und Dummheiten interessieren allenfalls im Unterhaltungsprogramm.
Wir gingen doch alle von Hoffnungen, Erwartungen und Wünschen aus. Dann begannen sich die Tage neu zu sortieren. Manchmal konnte ich richtig mitmischen, manchmal war ich nur Getriebener - manchmal hielt ich die Fäden in der Hand, manchmal lief ich ihnen hilflos nach.
Als Paul Gerhardt 1653 sein Lied zum "neuen Jahr" schrieb, lag der 30jährige Krieg gerade 5 Jahre zurück - die Verwüstungen in den Dörfern und in den Seelen waren nur zu gegenwärtig. Paul Gerhardt, damals Pfarrer in Mittenwalde, lässt die Gemeinde singen:
Nun lasst uns gehn und treten
mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben
bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehn dahin und wandern
von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen
vom alten zu dem neuen,
durch so viel Angst und Plagen,
durch Zittern und durch Zagen,
durch Krieg und große Schrecken,
die alle Welt bedecken.
Denn wie von treuen Müttern
in schweren Ungewittern
die Kindlein hier auf Erden
mit Fleiß bewahret werden:
Also auch und nicht minder
lässt Gott uns, seine Kinder,
wenn Not und Trübsal blitzen,
in seinem Schoße sitzen.
Wie von treuen Müttern
Auffällig: Gott wird mit "treuen Müttern" verglichen. Ein schöneres, treffenderes Bild kann ich mir kaum vorstellen! Es ist von schweren Ungewittern die Rede. Wir sehen Menschen zusammengekauert in einer Stube sitzen. Es ist, als ob die Welt unterginge. Draußen - und drinnen.
Wir erleben das unter uns auch heute noch. Wir wissen, wie das ist, sich "unbehaust" zu fühlen, fremden Gewalten ausgeliefert, hilf- und wehrlos. Wir wissen, wie das ist, wenn die großen Worte ganz klein werden. Wir wissen, wie das ist, wenn uns die Sicherheiten verloren gehen.
Das Bild von den treuen Müttern verbreitet Ruhe und Gelassenheit. Jetzt muss auch nichts mehr gesagt werden. Nichts mehr erklärt werden. Auch nichts mehr versteckt werden. Paul Gerhardt malt eine intime Szene, in der Geborgenheit sichtbar wird. Allein durch die Nähe, durch Vertrautheit, durch Liebe.
"Also auch und nicht minder
lässt Gott uns, seine Kinder,
wenn Not und Trübsal blitzen,
in seinem Schoße sitzen."
Ich muss jetzt auch an das Evangelium denken. In ihm ist vom Wort die Rede, dass die Welt neu schafft, Licht bringt und uns zu Kindern macht. Es ist von Jesus die Rede, der zu den Seinen kommt. Nein, ich möchte nicht, dass er vergeblich kommt, fremd bleibt, nicht erkannt wird. Wir sehen Jesus, hören, was er sagt, erleben, was er tut. Vielleicht hat Paul Gerhardt genau die Worte gefunden, die dem einen Wort, das von Gott kommt, angemessen ist: Wie von treuen Müttern!
Neues Jahr
Heute Abend werden Sektkorken knallen, Feuerwerk entzündet und ganz viele gute Wünsche geäußert - von den vielen Vorsätzen ganz zu schweigen. Ein neues Jahr wird gebührend begrüßt. Mit Vorschusslorbeeren. Mit Kater. Mit Träumen. Dafür kann das neue Jahr nichts. Es ist wie ein unbeschriebenes Blatt.
Aber Gott hat als erster schon etwas hineingeschrieben.
"Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen."
Ich nehme diesen Mut mit: dass auch 2011 in der Hand Gottes ist, in seiner Hand neu entsteht und meinem, unserem Leben Licht und Wärme schenkt. Warum glaube ich nur, dass sich nichts ändert? Dass alles beim Alten bleibt? Wenn ein Jahr neu beginnt, ist es wie ein Versprechen: Du kannst auch anders sein.
Paul Gerhardt formulierte:
Ach, Hüter unsers Lebens,
fürwahr, es ist vergebens
mit unserm Tun und Machen,
wo nicht dein Augen wachen.
Gelobt sei Deine Treue,
die alle Morgen neue,
Lob sei den starken Händen,
die alles Herzleid wenden!
Sprich Deinen milden Segen
zu allen unsern Wegen,
lass Großen und auch Kleinen
die Gnadensonne scheinen!
Ich weiß: Vieles, was in diesem zu Ende gehenden Jahr nicht erledigt oder bewältigt wurde, wird einfach mitgehen. Der Gedanke, dass der neue Kalender mit lauter Nullen anfangen könnte, kommt mir nicht. Aber ich möchte mit euch allen die Gewissheit teilen, dass wir alle aus seiner - Gottes - Fülle empfangen Gnade um Gnade.
Apropos Fülle: Gnade lässt sich schenken. Sie wächst sogar in leeren Händen.
Geben wir Paul Gerhardt noch einmal das Wort:
"Und endlich, was das meiste:
füll uns mit Deinem Geiste,
der uns hier herrlich ziere
und dort zum Himmel führe.
Das alles wollst du geben,
o meines Lebens Leben,
mir und der Christen Schare
zum selgen neuen Jahre!"
Manfred Wussow, 31.12.2010
Das alte und das neue Jahr vor mir und vor Gott
(Josef Stöckl 2008)
Mein Kalender
Der Kalender ist mit jedem Tag dünner geworden und heute sind wir beim letzen Blatt des Jahres. Voll geschrieben und abgestoßen, mit Eselsohren, Streichungen und Kaffeeflecken liegt der alte erschöpft auf dem Schreibtisch. In der Schublade lauert schon neu und unschuldig sein Nachfolger, bis jetzt noch ein unbeschriebenes Blatt, denk ich.
Der alte dagegen bläht sich gesprächig auf und erinnert an schöne Begegnungen, unliebsame Termine, an Abschiede, Alltagsforderungen und freie Zeiten. Ich blättere in meinem alten Kalender herum und das auslaufende Jahr nimmt noch einmal Gestalt an. Das ist ja auch schon wieder ein Jahr her und das muss schon vor zwei Jahren gewesen sein und doch noch so nahe! Und diese Notiz hatte ich schon ganz vergessen. Das war ja erst in diesem Jahr! Dabei wird mir klar, die Eintragungen im Kalender sind nur Fakten und Termine und dazu gehören Geschichten, die noch etwas ganz anderes aussagen.
Den Geschichten nachgehen
Geschichten sind noch etwas ganz anderes als die reinen Fakten im Kalender. Da spielen auch die Gefühle und inneren und äußeren Erlebnisse eine ganz große Rolle. Mit welchen Gefühlen bin ich hineingegangen in diese Termine, was hat mich dabei umgetrieben, wie habe ich mich darauf eingelassen? Und wie war die Durchführung? Wie habe ich mich dahinter geklemmt oder auch nicht, damit es gut hinausgeht für mich, für andere, für uns alle?
Und dann mein Gefühl danach: Dankbarkeit - Enttäuschung - Überraschung?
Und wie ging es mir mit den Terminen, die nicht vorher in den Kalender eingetragen waren, sondern die ungefragt einfach plötzlich da waren: ein Krankheit, ein Unfall oder sogar der Tod eines bekannten, eines lieben Menschen?
Und wie ging es mir mit Dingen, die mir so passiert sind, oder wo so klar mein Egoismus ausgebrochen ist und ich andere verletzt habe?
Und wie sehe ich Ereignisse, in denen ich einfach reich beschenkt worden bin ohne dass ich etwas dazu getan habe?
Ich merke, die zu den Terminen im Kalender gehörenden Geschichten haben das Jahr unwahrscheinlich reich gemacht. Und sie haben mich reich gemacht, beileibe nicht nur die positiven, auch manche dunkle Termine haben zum Reifen meiner Person viel beigetragen. So gesehen werde ich sehr dankbar auf dieses Jahr zurückschauen und mich wundern, wozu der Mensch allem fähig ist.
Vor Gottes Angesicht
Noch einmal eine ganz andere Dichte bekommt mein Kalender 2008, wenn ich ihn vor dem Angesicht Gottes anschaue:
Ich spüre, dass dieses Jahr nicht mein Produkt war, dass es sich nicht aus Gewinn und Verlust, aus Erfolg und Misserfolg zusammensetzen lässt.
Ich spüre, dass Gott mit mir diesen Weg gegangen ist. Dass er mich nicht allein gelassen hat, sondern mich immer wieder bei meinem Namen gerufen hat und mir gezeigt hat, worauf es im Leben tatsächlich ankommt: nämlich auf die Liebe. Und Gott ist die Liebe, sagt uns Johannes. Und darum suche ich gern nach der Quelle der Liebe.
Auch an den Stellen, wo ich meinte, Gott hat mich im Stich gelassen, wo nur eine Spur im Sand meines Lebensweges zu sehen ist, werde ich entdecken dürfen, dass es die Stellen im Jahr waren, wo mich Gott getragen und geschleppt habe, bis ich wieder Fuß fassen konnte.
Dieses vergehende Jahr hinstellen vor Gottes Angesicht, lässt mich staunen, was Er und Ich alles fertig gebracht haben. Und auch bei dem, was wir nicht fertig gebracht haben, bleibt er an meiner Seite. Alles Gründe, für dieses Jahr sehr, sehr dankbar zu sein und Gott zu loben und zu preisen. "Der Herr krönt das Jahr mit seinem Segen."
Ausblick auf das Neue Jahr
Im Blich auf das neue Jahr 2009 hab ich mich natürlich gewaltig getäuscht, als ich meinte, der neue Kalender warte noch ganz unberührt und rein und sauber in der Schublade, bis er heute Nacht um 12 Uhr herausgezogen wird.
Der ist schon oft heraufgezogen worden. Da hat sich schon mancher Termin eingeschlichen und ich erinnere mich, dass es ein besonderes Gefühl war, im neuen Kalender jetzt schon etwas einzutragen.
Die Betrachtung des vergehenden Jahres sagt mir im Blick auf das kommende Jahr: Die Fakten sehen und kommen lassen. Sie allein sind nicht alles.
Gespannt und offen sein auf die Geschichten, die diese Fakten beinhalten und reich machen werden.
Und auf Gott setzen, dass ich alles, wirklich alles, vor sein Antlitz bringen darf, was da kommen wird.
Schließen möchte ich mit dem Satz:
Der Mensch hat ungeahnte Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten;
ganz zu schweigen von den ungeahnten Möglichkeiten, die Gott mit uns Menschen hat, unser Leben zu gestalten.
Darum ist glücklich und selig zu preisen, wer sich traut, mit Gott zusammen heute Nacht ins neue Jahr hineinzugehen.
Pater Josef Stöckl, 31.12.2008
Pater Josef Stöckl
